Freitag, 16. Februar 2018

Lawinengefahr steigt durch Warmfront an – Achtung: Neue Schwachschicht aus kantigen Kristallen im besonnten Gelände oberhalb von etwa 2200m!

Viel Pulverschnee sowie wenige, meist kleinräumige Gefahrenstellen prägten die Lawinensituation der vergangenen Wochen. Nun stellt sich die Lawinengefahr mit der Warmfront zumindest in den neuschneereicheren Regionen im Westen Nordtirols um.

Im Westen zeigt die Schneehöhenkarte den meisten Schneezuwachs

Allerdings gab es auch im Norden des Landes mehr Niederschlag (dieser fiel häufig in Form von Regen) (Stand: 16.02. 07:00 Uhr)

Der Wind hat zugelegt.

An der Station Ganatschalm im Arlberggebiet erkennt man den Schneehöhenzuwachs sowie den deutlichen Temperaturanstieg

Oberflächennahe Schwachschichten

Bei Neuschneefällen konzentrieren wir uns auf Schwachschichten, die zu Problemen führen können. Schwachschichten befinden sich derzeit in oberflächennahen Schichten. Bisher waren die Schwachschichten nur in relativ kleinen Bereichen bedeutsam, nämlich überall dort, wo diese von ausreichend gebundenem Schnee (dem Schneebrett) überlagert waren. Nun nimmt die Anzahl und Mächtigkeit von gebundenen Schneepaketen durch Schneefall, steigende Temperaturen und zunehmenden Windeinfluss zumindest in den westlichen Regionen Nordtirols deutlich zu.

Es folgt ein kurzer Exkurs möglicher Schwachschichten. Besonders wichtig erscheint eine kantige Schicht, die sich im Bereich von Schmelzkrusten entwickelt hat und uns noch länger verfolgen könnte.

Kantige Schwachschicht aufgrund des Gefahrenmusters „kalt auf warm"

In den letzten zwei Wochen bildete sich eine neue, aufbauend umgewandelte Schwachschicht in besonnten Hängen oberhalb von etwa 2200m. Diese Schicht aus kantigen Kristallen befindet sich häufig zwischen zwei Schmelzkrusten.

Unser Bild stützt sich derzeit auf unsere Schneedeckenuntersuchungen,  gezielte Rückmeldungen von Profis, aber auch auf kürzlich beobachtete Lawinenabgänge.

Die Schwachschicht scheint in W- und O-Hängen in einem Höhenband zwischen etwa 2200m und 2400m sowie im Südsektor (SW über S bis SO) oberhalb etwa 2400m am meisten ausgeprägt und ziemlich störanfällig zu sein.
Bei Schneedeckenuntersuchungen konzentrieren wir uns derzeit vor allem auf besonntes Gelände. Unterwegs in den Zillertaler Alpen (Foto: 14.02.2018)

Rote Pfeile: zwei Schmelzkrusten. Magenta Pfeil: Störanfällige Schwachschicht aus kantigen, lockeren Kristallen. Der ungebundene Pulverschnee darüber eignete sich hier noch nicht für ein Schneebrett. Zwieselbacher Rosskogel, Nördliche Stubaier Alpen (Foto: 13.02.2018)

Bei folgenden, uns bekannt gewordenen Lawinenabgängen gehen wir von einer hohen Wahrscheinlichkeit aus, dass die kantige Schwachschicht zum Tragen gekommen ist. So z.B. bei einem Lawinenabgang mit Personenbeteiligung am 13.02.2018 bei der Abfahrt vom Kreuzjochkogel in den Nördlichen Stubaier Alpen.

Lawine Kreuzjochkogel in den Nördlichen Stubaier Alpen. 2700m, Süd, sehr steil: Rote Kreise: Personen in der Abfahrt. Magenta: Kurz darauf fernausgelöstes, zweites Schneebrett. Pfeil: Aufstiegsspur (Foto: 13.02.2018)

Hier nochmals ein Bild von den zwei Lawinen am Kreuzjochkogel vom 13.02.2018. Die zweite, kleine Lawine ist jene, die fernausgelöst wurde. (Foto: 13.02.2018)

Aus dem hinteren Kaunertal wurde uns von einer spontanen Schneebrettlawine am 13.02. berichtet, die O-seitig auf ca. 2300m gebrochen und verhältnismäßig weit vorgedrungen ist. Von den Tuxer Alpen erreichte uns eine Meldung von zwei Schneebrettlawinen im kammnahen, W-exponierten Gelände. Im Bereich der Lawinen waren Gämsen unterwegs – eventuell der entscheidende Impuls zur Auslösung.

Zwei Lawinenabgänge im kammnahen, westexponierten Gelände auf ca. 2300m in den Tuxer Alpen am Weg zum Naviser Kreuzjöchl (Foto: 14.02.2018)

Hier ein Detailfoto von lockeren, kantigen Kristallen im Bereich von Krusten. Südliche Ötztaler Alpen (Foto: 14.02.2018)

Kurze Erläuterung zur Entstehung dieser Schwachschicht:

Die Schwachschicht bildete sich durch das Gefahrenmuster „kalt auf warm". Während der warmen Schönwetterphase mit geringer Lawinengefahr vor dem 01.02. wurde die Schneeoberfläche schattig unterhalb etwa 1900m sowie in besonnten Hängen feucht. In steilen, besonnten Hängen konnte dies bis in hochalpine Bereiche beobachtet werden. Am 01.02. und 02.02. schneite es. Die Temperatur fiel in den Keller. Dadurch entstand an der Grenzfläche zwischen feuchter Schneeoberfläche und kaltem Neuschnee ein großer Temperaturunterschied. Dieser begünstigte einerseits die aufbauende Umwandlung, andererseits bildete sich dort auch eine Schmelzkruste aus (sofern diese nicht schon zuvor während Strahlungsnächten entstanden ist). Es folgten Schönwettertage bei steigenden Temperaturen. Der Pulverschnee von Anfang Feber wurde an der Schneeoberfläche durch Sonneneinstrahlung und warme Temperaturen im besonnten Steilgelände feucht (W- und O-seitig bis etwa 2500m, S-seitig bis etwa 3000m hinauf). Während kalter Strahlungsnächte kühlte die Schneeoberfläche ab. Es bildete sich neuerlich eine Schmelzkruste an der Schneeoberfläche aus. Beginnend mit dem 08.02. folgte wieder eine Kältephase. Diese verstärkte dann die aufbauende Umwandlung zwischen den zwei Schmelzkrusten.

In den Bereichen 1 und 3 (rot) wurde die Schneeoberfläche während Schönwettertage bei warmen Temperaturen mancherorts feucht (Man beachte auch die Globalstrahlung in grün.) In Folge bildeten sich dort oberflächige Schmelzkrusten aus.. Im Bereich 2 (blau) sieht man den Schneefall von Anfang Feber. In Zeitraum 4 (magenta) wandelte sich der Schnee von Anfang Feber (zwischen den Schmelzkrusten) von anfangs Pulverschnee, zu filzigen Kristallen und zunehmend zu kantigen Kristallen um. Strahlungsnächte und die extrem niedrige Luftfeuchtigkeit begünstigten diesen Prozess.

Strahlungsnächte sowie die sehr trockene Luftmasse führten dazu, dass die Schneeoberfläche massiv auskühlte (Schneeoberflächentemperaturen um -30 Grad). Dadurch wurde der Temperaturunterschied in oberflächennahen Schichten noch erhöht, was die aufbauende Umwandlung in oberflächennahen Schichten verstärkte. (Die extrem trockene Luft bewirkte u.a. auch, dass Schnee an der Oberfläche sublimierte (also vom festen in den gasförmigen Zustand überging). Dies benötigt viel Energie, welche dem Schnee entzogen wird. Die Schneeoberfläche kühlt dadurch noch stärker aus.)

Der Taupunkt (blaue Linie) entfernt sich am 13.02. immer weiter von der Lufttemperatur, die Luftfeuchtigkeit sinkt. Dadurch sinkt die Schneeoberflächentemperatur (graue Linie) unter -30°C, während
die Lufttemperatur nahezu gleich bleibt. Am 15.02. steigt die Oberflächentemperatur durch die Zunahme der Luftfeuchtigkeit (Taupunkt steigt an) und den bedeckten Himmel dann wieder auf das Niveau der Lufttemperatur an.

Die roten Pfeile zeigen die beiden Schmelzkrusten. Die magenta Pfeile zeigen mögliche Schwachschichten. Bei den links dargestellten Profilen ist der zwischen den Krusten eingelagerte Neuschnee von Anfang Feber erst teilweise aufbauend umgewandelt (filzige Kristalle werden zu kantigen Kristallen). Bei den rechts dargestellten Profilen ist dieser Prozess bereits weiter fortgeschritten. Dort sind die Kristalle durchwegs bereits kantig, die Schicht sehr locker und somit störanfällig. Stabilitätstests zeigten dort deshalb nur Teilbrüche, weil das darüber gelagerte Brett noch zu wenig mächtig war,

Während des bisherigen Winters war die Schneedecke in Sonnenhängen auffallend häufig schlechter aufgebaut als in Schattenhängen. Man fand dort vermehrt Schwachschichten aus aufbauend umgewandelten Kristallen. Dies lässt sich dadurch erklären, dass sich solche Schwachschichten häufig im Bereich von Krusten bilden, die sich heuer (aufgrund der meist nur bis 2300m hinaufreichenden Regengrenzen) in Summe vermehrt im besonnten Gelände anzutreffen waren. Dort bildeten sich zum Teil markante Schmelzkrusten aus. Unter bestimmten Voraussetzungen können sich dann Schwachschichten entwickeln, die sich entsprechend nur auf  besonntes Gelände beschränken.

Eingeschneiter Oberflächenreif

Schattseitig hat sich zwischen dem 06.02. und dem 11.02. zum Teil Oberflächenreif abgelagert, der überschneit wurde. (sh. vorigen Blogeintrag hier). Diese Schwachschicht bleibt unverändert störanfällig.

Eine, in den Kitzbüheler Alpen durch Fernauslösung abgegangene Schneebrettlawine auf Oberflächenreif. (Foto: 13.02.2018)

Lockerer Pulverschnee als Schwachschicht

Der so traumhafte, zum Teil sehr lockere Pulverschnee, den man bis gestern, dem 15.02. vielerorts an der Schneeoberfläche antreffen konnte, ist ebenso als mögliche Schwachschicht zu beachten, dies v.a. natürlich in den neuschneereichen Regionen bzw. allgemein in windbeeinflussten Gebieten.

Lockerer, kalter Pulverschnee kann – sobald von gebundenem Schnee überlagert – eine neue Schwachschicht bilden (Foto: 14.02.2018)

Der bisher kälteste Tag des Winters, der 14.02.2018

Wir gehen davon aus, dass in der Nacht vom 15.02. auf den 16.02. bereits einige Rutsche und kleine Schneebrettlawinen auf dieser Schicht spontan abgegangen sind. Die Bindung des Neuschnees wurde auch durch die zunehmenden Erwärmung begünstigt.

Im Süden besser

Ein Bild vom Defereggental in Osttirol (Foto: 15.02.2018)

Man sollte v.a. Ausschau nach frischem Triebschnee halten. Hier am Bild erkennt man im Vordergrund eine vom Wind beeinflusste Schneedecke. (Foto: 14.02.2018)

Ein ständiger Begleiter bleiben vereinzelte Gleitschneeabgänge…

Frische Gleitschneelawine, die am kältesten Tag des Winters abgegangen ist. (Foto: 14.02.2018)

(Dieser Blogeintrag wurde unter tatkräftiger Unterstützung unseres Praktikanten Lukas Ruetz erstellt.)