Donnerstag, 29. April 2021

Eher ungünstige Lawinenverhältnisse mit häufig schlechter Schneequalität

Durchnässung schreitet voran - Wahrscheinlichkeit von spontanen Lawinen steigt

Während der vergangenen Tage war es bei wechselhaftem Wetter recht warm. Die Schneedecke wurde dadurch auch in größeren Höhen immer feuchter bzw. auch tiefgreifender durchnässt. Ein tragfähiger Harschdeckel bildete sich über Nacht nur mehr in hohen Lagen und im Hochgebirge. Im Süden war dies kürzlich aufgrund des tendenziell schlechteren Wetters kaum der Fall. Ähnlich war es auch während der vergangenen Nacht vom 28.04. auf den 29.04. in Teilen Nordtirols, wo die Ausstrahlung der Schneedecke gebietsweise stark eingeschränkt war.


Bilder von Webkameras helfen bei der Einschätzung der Wolkenbedeckung während der Nachtstunden


Lawinenabgänge hielten sich bisher noch in Grenzen. Fast ausschließlich handelte es sich dabei um (vereinzelte) nasse Lockerschneelawinen.


Lockerschneelawine im Bereich des Zuckerhütls in den Stubaier Alpen (Foto: 23.04.2021)


Am Sonntag, 25.04. bewirkten die warmen Temperaturen in Schattenhängen gebietsweise eine oberflächige Durchfeuchtung der Schneedecke. Dadurch aktivierten sich im extrem steilen Gelände einige Lockerschneelawinen. (Grießkogelgruppe)


Seit gestern, 28.04. wurden uns erstmals wieder spontane Lawinenabgängen gemeldet. Dies scheint auch ein Signal dafür zu sein, dass die spontane Aktivität während der kommenden Tage zunehmen wird. Am meisten davon betroffen werden Schattenhängen sein, insbesondere jene, bei denen bisher noch keine tiefergreifende Durchnässung stattgefunden hat. Wir gehen aktuell von einem Höhenbereich um 2400m mit entsprechenden Abweichungen nach oben und unten aus. Aber auch in Sonnenhängen gibt es Potential für Schneebrettlawinen. Vermehrt können diese in oberflächennahen Schichten brechen. Dort bildet ein noch vorhandener Schmelzharschdeckel, der auf lockeren, nassen Schmelzformen lagert, das für eine Schneebrettlawine notwendige Brett.


Spontane Schneebrettlawine auf 2300m, West, im hinteren Pitztal bei einer Moräne (Foto: 28.04.2021)


Am Bild zu erkennen: Noch tragfähiger Schmelzharschdeckel, darunter eine durchnässte, lockere Schicht - eine mögliche Schwachschicht für Schneebrettlawinen. Kaunertal. (Foto: 28.04.2021)


Gleitschneelawinen schattseitig auf 1600m im Tannheimertal (Foto: 28.04.2021)


Die Schneequalität ist aktuell meist schlecht. Erst oberhalb etwa 2700m/2800m wird diese tendenziell besser.


Ein schmaler Grat zwischen "Durchbrechen", Bruchharsch und tragfähig. Stellen, wo man durchbricht werden nun immer häufiger. (Foto: 28.04.2021)


Kurzer Rückblick


Die vergangene Woche stand wieder einmal im Zeichen des Aprils mit meist wechselhaftem Wetter. In Nordtirol war das Wetter föhnbedingt freundlicher als in Osttirol. Richtig gut wars nur am vergangenen Wochenende, insbesondere am Samstag, 24.04., als kurzfristig sehr trockene Luft eingedrungen ist. Trotz der warmen Temperaturen wurde die Schneedecke damals kaum geschwächt. Es dominierten günstige Verhältnisse mit einem Tagesgang der Lawinengefahr.


Der beste Tag während der vergangenen Woche war der Samstag, 24.04. Man erkennt die trockene Luftmasse. Die Schneedecke konnte damals über Nacht gut ausstrahlen. Inzwischen ist die Schneedecke nass, der Taupunkt bei 0°. Wasser kann nun ungehindert in tiefe Schichten vordringen.



Ein ähnliches Bild vom Eselrücken im nördlichen Osttirol.

Laut ZAMG-Wetterdienststelle zählt der vergangene April übrigens zum kühlsten April seit 1997 und zu einen der acht trockensten der Messgeschichte (seit 1858!).


Vorschau für die kommenden Tage


Von heute, 29.04. auf morgen, 30.04. überquert uns laut ZAMG-Wetterdienststelle eine schwache Kaltfront. Die Temperatur wird nur um 1-2°C kühler. Auf den Bergen weht in den Föhnstrichen kräftiger Südwind. Wechselhaft gehts durch den Freitag, 30.04.. Es könnte ein "dampfiger" Tag mit viel diffuser Gegenstrahlung werden, der die Durchnässung der Schneedecke weiter voranschreiten lässt. Der 01.05. dann eher wieder zweigeteilt - freundlicher im Norden als im Süden. Nochmals mild, bevor es am Sonntag, 02.05. mit einer Kaltfront deutlich abkühlt. Schneefallgrenze im Süden höher als im Norden, zwischen etwa 1200m und 2000m. Schneemengen ca. 20-30cm. auf den Bergen. Die Nassschneeproblematik wird somit kurzfristig abnehmen. Dafür gibt es in großen Höhen, meist kammnah ein meist recht überschaubares Triebschneeproblem.


12h-Neuschneeprognose 29.04. auf 30.04.2021





Donnerstag, 22. April 2021

Frühjahrsverhältnisse mit zunehmend markantem Anstieg der Lawinengefahr - Gute Zeiteinteilung erscheint immer wichtiger!

Ein sonniges Wochenende steht bevor - Nassschneelawinen im Tagesverlauf beachten!


Nach typischem, wechselhaften Aprilwetter, das uns heute am 22.04. v.a. im Norden des Landes gebietsweise Regen bis häufig um 2000m gebracht hat, bessert sich nun das Wetter. Schon während der Nachtstunden beginnt es aufzuklaren. Freitag bis Sonntag versprechen sehr sonnige und zunehmend warme Tage zu werden. Am Sonntag, 25.04., kann es aus Quellwolken gebietsweise etwas Niederschlag geben.


Die vergangene Woche war für die Jahreszeit zu kalt und sehr wechselhaft. Blick von den Tuxer Alpen Richtung Karwendel (Foto: 22.04.2021) 


Tageszeitlichen Anstieg der Lawinengefahr beachten!


Warme Temperaturen und intensiver Strahlungseinfluss werden während der kommenden Tage zu einer zunehmenden Schwächung der Schneedecke während des Tages führen. Sonnen- und Schattenhänge sind dabei differenziert zu betrachten.



Sonnenhänge


In Sonnenhängen werden vermehrt oberflächennahe Schichten (Ablagerung ab 05.04.2021) vom Festigkeitsverlust betroffen sein. Dünne Schwachschichten finden sich v.a. oberhalb von kürzlich gebildeten Schmelzkrusten. Durch Schmelzprozesse eindringendes Wasser kann dort zu einer erhöhten Störanfälligkeit der Schneedecke samt spontaner Lawinenabgängen führen. Möglich erscheint auch die Auslösung von Schneebrettlawinen durch Impulse nasser Lockerschneelawinen aus extrem steilem Gelände.


Spontane Schneebrettlawine vom 21.04. nachmittags in einem Südhang auf ca. 2500m in den Stubaier Alpen. Nasse Lockerschneelawine als möglicher Auslöser. Das Brett brach auf einer bis zum 12.04. entstandenen Schmelzkruste, auf der sich am 12.04. auch Saharastaub ablagerte. (Foto: 21.04.2021) 


Davon betroffen sind auch hochalpine Sonnenhänge. 


Schneebrett, welches auf ca. 3000m in einem Südhang in der Granatspitzgruppe fernausgelöst wurde (Foto: 21.04.2021)



Zusätzlich zu beachten: Vereinzelte Gleitschneelawinen auf steilem, glatten Untergrund. (Die meisten Gleitschneelawinen sind bereits während intensiver Wärmephasen Ende Februar, teilweise auch Ende März abgegangen.) Stubaier Alpen. 20.04.2021



Repräsentatives Profil für einen Sonnenhang in hohen Lagen. Oberhalb einer dicken Schmelzkruste, die sich ab dem 03.04. gebildet hat, findet man eine Abfolge von dünnen Krusten und speziell bei Wassereintrag zu störenden Schwachschichten. 2130m, W, Tuxer Alpen, 21.04.2021


Nordhänge


Nordhänge wurden diesen Winter in Nordtirol bis maximal 2400m, in Osttirol bis etwa 2000m etwas tiefergreifender durchfeuchtet. Dies war am 02.04.2021, als es regnete. Zahlreiche spontane Lawinenabgänge - vermehrt nasse Lockerschneelawinen, zum Teil auch Schneebrettlawinen waren die Folge. Mit dem heutigen Regeneintrag (22.04.2021) und dem Anfang des Tages zum Teil massiven, diffusen Strahlungseinflusses wurde die Schneedecke im Norden des Landes zumindest oberflächennah wieder feucht.



Niederschlag vom 22.04.2021 bis 19:00 Uhr



Temperaturreserven gibt es inzwischen kaum mehr. Wärmeeinfluss und diffuser Strahlungseinfluss können deshalb recht rasch zu einem tiefergreifenden Wassereintrag führen. Dies wird die Schneedecke schwächen und sowohl durch Wintersportler leichter stören lassen, als auch zu spontanen Lawinenabgängen führen.



Schneeprofil NO 2335m zeigt einen eher flachen Temperaturverlauf (der heute am 22.04. sicher noch abgeflacht wurde.). Beachtenswert u.a. auch die bodennahe, leicht verkrustete Schicht. Speziell an schneeärmeren Stellen ist in diesem Höhenbereich vermutlich ab Samstag späteren Nachmittag mit einer Durchnässung zu rechnen. Die Folge können Schneebrettlawinen sein, die bodennah brechen.  



Schattseitig aktuell noch oberflächennahe Lockerschneelawinen, zunehmend zumindest unterhalb etwa 2400m sind dann im Tagesverlauf auch Schneebrettlawinen möglich. (Foto: 21.04.2021)



Snowpack, ein von uns verwendetes Schneedeckensimulationsmodell zeigt, dass die Schneedecke während der kommenden Tage in Nordhängen zunehmend bis zum Boden durchfeuchtet werden. Rosa Punkte rechts unten auf der linken Darstellung. Rechts: Simuliertes Profil am Gallreideschrofen im Gschnitztal: Oberflächennah dominieren Schmelzkrusten, bodennah aufbauend umgewandelte Schichten.



Übersicht über simulierte "Lawinenaktivitätsindizes" für heute 22.04.2021 15:00 Uhr. Über "1" spricht für zunehmende Schwächung.



Im Vergleich dazu: Prognose für Samstag, 24.04. 15:00 Uhr



Ebenso berichtenswert: In den Zillertaler Alpen wurden entlang des Alpenhauptkammes spontane Schneebrettlawinen in extrem steilen Nordhängen um 3000m beobachtet. Abgangszeitpunkt nicht ganz klar, eher jüngeren Datums. Die Anbrüche sollen zum Teil beachtlich gewesen sein. Dies dürfte am ehesten mit anderen Rückmeldungen zusammenpassen, als uns Wintersportler speziell aus höheren, eher windgeschützten Lagen von einer aufgebauten Schneeoberfläche berichteten (von viel "Grieß").


Am Morgen überwiegend günstige Verhältnisse - Absturzgefahr beachten


Während klarer Nächte wird die Schneedecke oberflächig gefrieren. Zumindest in hohen Lagen gehen wir von einem tragfähigen Harschdeckel während der Morgenstunden in Sonnenhängen und unterhalb etwa 2200m auch in Schattenhängen aus. Vorsicht: Im Steilgelände besteht eine nicht zu unterschätzende Absturzgefahr. Harscheisen bzw. Steigeisen sollten deshalb in keinem Rucksack fehlen.





Conclusio - gute Zeiteinteilung


Für die kommenden Tage ist eine gute Tourenplanung, vor allem eine gute Zeiteinteilung sehr wichtig! Lawinen können im Tagesverlauf mit zunehmender Durchfeuchtung immer leichter von Wintersportlern ausgelöst werden bzw. spontan abgehen. Besondere Vorsicht auch in Schattenhängen unterhalb etwa 2400m, wo Schneebrettlawinen zunehmend auch in bodennahen Schichten brechen können. Diesbezüglich günstiger einzuschätzen ist dabei v.a. das südliche Osttirol, wo das Schneedeckenfundament kompakt ist.

Bei guter Zeiteinteilung wird man häufig von tollem Firn belohnt werden!

Montag, 19. April 2021

Nach Pulvertraum nun auch erhöhte Vorsicht in Schattenhängen

Diffuser Strahlungseinfluss erhöht die Störanfälligkeit der Schneedecke in Schattenhängen - Vorsicht v.a. in einem Höhenband zwischen etwa 2200m-2600m


Wie aus den vergangenen Blogeinträgen zu entnehmen, konnte man während der vergangenen Woche schattseitig bei kühlen Temperaturen vielerorts lockeren Pulverschnee genießen. Mit dem heutigen Tag, dem 19.04., kam ab den Nachmittagsstunden häufig die Sonne zwischen den Wolken zum Vorschein. Dies führte einerseits zu einem erhöhten diffusen Strahlungseinfluss, andererseits zur einer oberflächennahen Bindung des Pulverschnees. Kurz gesagt: Es bildete sich ein Brett.


Blick von der Seegrube in Richtung Süden. Am Nachmittag hat es meist schon aufgelockert. Zwischen Wolken kommt die Sonne zum Vorschein.


Schneebrettlawinen können immer nur dann abgehen, wenn eine Schwachschicht samt einem Brett vorhanden sind. Eine Schwachschicht mit guter Bruchfortpflanzung findet man in Nordhängen aktuell am ehesten in einem schmalen Höhenband zwischen etwa 2200m und 2600m. Dort bildete sich Anfang April aufgrund von Regeneinflusses eine dünne Schmelzkruste. Diese überlagert wiederum vielerorts eine dünne kantige Schicht - die potentielle Schwachschicht.


Spontanes Schneebrett unterhalb der Sommerwand in den Stubaier Alpen. Nord, 2400m. Abgangszeitpunkt: 19.04.2021 13:15 Uhr



Vorsicht v.a. in den Regionen in Nordtirol mit kürzlich viel Neuschnee


Betroffen ist v.a. Nordtirol und hier jene Regionen, bei denen es vom 12.04. auf den 13.04. am meisten geschneit hat. Es handelt sich dabei um die Tuxer, nördlichen Zillertaler, östlichen Stubaier und Ötztaler Alpen, sowie das Karwendel und das Mieminger Gebirge.



24h-Schneedifferenz vom 12.04. auf den 13.04.2021



Unsere Einschätzung basiert auch auf Rückmeldungen, die wir heute am 19.04. erhalten haben. So wurde uns sowohl aus den Stubaier, als auch aus den Zillertaler Alpen von spontanen Schneebrettlawinen ab den Nachmittagsstunden in diesem Höhenband berichtet. Vorerst muss also dort von einer erhöhten Störanfälligkeit der Schneedecke ausgegangen werden.


Heimtückische Situation gebietsweise auch in Sonnenhängen


Je nach Strahlungseinfluss und Wärmeinput könnten morgen am 20.04. in den oben erwähnten Regionen sowie im südlichen Osttirol auch Sonnenhänge etwas störanfälliger werden. Spannend wirds in Sonnenhängen dann spätestens am kommenden Wochenende mit vorhergesagtem schönen Wetter bei steigenden Temperaturen. Mehr dazu spätestens am Donnerstag, 22.04.2021.

Sonntag, 18. April 2021

Lawinenunfall Großer Zunig in Osttirol fordert ein Todesopfer und einen Schwerstverletzten

Am 17.04. ging kurz nach 13:00 Uhr ein Notruf bei der Leitstelle Tirol über einen Lawinenunfall am Großen Zunig südlich von Matrei in Osttirol ein. Zwei Skitourengeher wurden dort von einem Schneebrett während der Abfahrt erfasst und über felsdurchsetztes Gelände mitgerissen. Eine Person verstarb noch an der Unfallstelle, die zweite Person wurde mit schwersten Verletzungen in die Innsbrucker Klinik geflogen.


Die rote Ellipse markiert die Unfallstelle nördlich des Großen Zunigs. Am oberen Bildrand befindet sich Matrei in Osttirol (c) tiris


Das Schneebrett löste sich im extremen Steilgelände in einem Nordhang auf einer Seehöhe von etwa 2550m. Dem Lawinenabgang liegt ein oberflächiges Triebschneeproblem aufgrund kürzlichen, zum Teil starken Windeinflusses zugrunde. Nähere Erhebungen vor Ort werden primär aufgrund der Exponiertheit des Geländes unsererseits nicht durchgeführt.


Der Pfeil markiert den Einfahrtsbereich (Foto: 17.04.2021)


Zwei Einfahrtsspuren in das Schneebrett. Die Anrissmächtigkeit variiert und wird zwischen etwa 30cm und 70cm geschätzt. (Foto: 17.04.2021)



Der Pfeil markiert die obere Anbruchkante des Schneebretts (Foto: 17.04.2021)


Ergänzende Infos zur aktuellen Situation

Wir haben einige Beobachtungen über die Ausbildung von gm.4 (kalt auf warm) erhalten. Gebietsweise betroffen erscheint besonntes, sehr steiles Gelände beginnend von etwa 2200m aufwärts. Einen "Ausreißer" gabs in den Stubaier Alpen, der sich auf einen Südhang auf 2050m bezog. Setzungsgeräusche sind häufig ein Indiz für dieses Altschneeproblem. 

Die Schneequalität im besonnten Gelände ist aktuell schlecht. Es überwiegt Bruchharsch.

Während der vergangenen Tage wurden sehr viele, auch extrem steile Abfahrten in Nordhängen absolviert. Dies zeigt auch, dass Gefahrenbereiche im Nordsektor nicht allzu häufig vorhanden sind.

Problembereiche im Nordsektor gibt es am ehesten:  
  • in Nordtirol in einem schmalen Höhenband um 2300m. Dort findet man eine dünne Regenkruste vom 02.04., darunter eine dünne kantige Schicht. Diese bildete sich während der Schönwetterphase bis Anfang April aus. 
  • an schneearmen Stellen in größeren Höhen, wo man "Schwimmschneenester" antrifft
  • in Form von frischen Triebschneepaketen im extrem steilen Gelände

Donnerstag, 15. April 2021

Aktuell noch viel Pulverschnee bei meist recht guten Bedingungen - lokal vermutlich zunehmend heimtückische Lawinensituation aufgrund von gm.4 (kalt auf warm)

Mögliche Ausbildung neuer Schwachschichten

Gerade macht uns das unbeständige Wetter mit zum Teil beachtlichen Temperaturschwankungen etwas Kopfzerbrechen. Wir haben nämlich aktuell perfekte Voraussetzungen für die Ausbildung des Gefahrenmusters "kalt auf warm" (gm.4). Dieses ist dafür bekannt, dass sich nach Schneefällen verzögert Schwachschichten innerhalb des Schneedecke ausbilden können. Seit heute, 15.04.2021 haben wir erstmals Anhaltspunkte, die für diese Problematik sprechen: In der Glocknergruppe wurde von Setzungsgeräuschen im Sonnensektor oberhalb von 2700m berichtet. Am Tschadinhorn in der Schobergruppe löste sich ebenso auf etwa 2700m in einer SW-ausgerichteten Rinne eine 100m lange und ebenso breite Schneebrettlawine aufgrund künstlicher Zusatzbelastung. Unweit von Tirol - in der Sesvennagruppe - spricht auch Vieles dafür, dass eine oberflächennahe Schwachschicht zu einer erhöhten Störanfälligkeit der Schneedecke, insbesondere in größeren Höhen in besonnten Hängen führt. Es werden Erinnerungen an eine ähnliche Situation vor vier Jahren wach.

Anhaltspunkte inwieweit schattiges Gelände von dieser Entwicklung betroffen ist, haben wir aktuell wenige. Fakt ist, dass zumindest die Schneeoberfläche am vergangenen Wochenende auch nordseitig bis in größere Höhen angefeuchtet war und von kaltem Neuschnee überlagert wurde.


Schneebrettauslösung aufgrund einer Lockerschneelawine. Art der Schwachschicht nicht bekannt. 2700m Nord, Lüsener Villerspitze



Seit Beginn dieses Monats dominiert ein Wechsel von warmen und kalten Wetterphasen 



Markante Temperaturunterschiede während der Woche. Anfangs kalt, dann warm mit Ausbildung einer feuchten Schneeoberfläche, dann wieder kalt mit Schneefall. Hier eine jener Stationen mit den größten gemessenen Neuschneemengen. Franz-Senn-Hütte in den Stubaier Alpen


Ähnlich im Süden. Dort wehte tendenziell stärkerer Wind. Station Zischke im Defereggental



24h-Schneedifferenz vom 12.04. auf den 13.04.2021



Eine der neuschneereichen Orte während der vergangenen Woche: Halltal im Karwendel (Foto: 14.04.2021) 



Ein oftmaliger "Begleiter" während der Schneefälle: Graupel. Gleirschtal in den Nördlichen Stubaier Alpen (Foto: 12.04.2021)


Problembereiche in oberflächennahen Schichten


Für die Ausbildung eines Schneebretts benötigt man nicht nur eine Schwachschicht, sondern auch ein darüber gelagertes, gebundenes Schneepaket. Letzteres findet man vermehrt in größeren Höhen aufgrund von kürzlichem Windeinfluss, aber auch in Sonnenhängen, wo sich die Schneedecke trotz der kalten Temperaturen aufgrund des Strahlungseinflusses langsam setzt und etwas verdichtet. Wichtig erscheint v.a., dass wir es aktuell v.a. mit oberflächennahen Problembereichen zu tun haben. Mögliche Schwachschichten sind entweder kantige Kristalle aufgrund von gm.4, kurzfristig noch lockerer, überwehter Pulverschnee oder lokal massivere Graupeleinlagerungen. 



Bei diesem Profil fehlt das Brett. Der Neuschnee ist locker. Mögliche Schwachschichten Graupel und kantige Kristalle in Oberflächennähe (Pfeil aufwärts)



Ein recht dünnes Brett über einer dünnen, lockeren Schwachschicht (Pfeil symbolisiert den möglichen, oberflächennahen Problembereich). Interessant auch der Temperatursprung in Oberflächennähe: Kurzwellige Strahlung führte wenige cm unterhalb einer sehr lockeren Schneeoberfläche zu einer Anfeuchtung ("radiation recrystallisation")



Hauptkonzentration im markierten Bereich. Gut zu erkennen auch die von Anfang Februar stammende Saharastaubschicht. Jamtal, Silvretta (Foto: 14.04.2021)



Bezeichnend für kammnahes, höher gelegenes Gelände: Windeinfluss samt Triebschneepaketen sowohl in Schatten-, als auch in Sonnenhängen.



Häufig noch guter Pulverschnee


Trotz der obigen Ausführungen mit schwierig einzuschätzenden Entwicklungen darf der Fokus wohl auch auf den tollen Pulverschnee während der vergangenen Tage gerichtet werden.


Ein Pulvertraum in der Gurgler Gruppe. Hinterer Seelenkogel (Foto: 14.04.2021)



Ähnlich im Jamtal... (Foto: 14.04.2021)


Zahlreiche Lockerschneelawinen


Lockerer Pulverschnee zieht gerade während dieser Jahreszeit eine erhöhte Abgangsbereitschaft von Lockerschneelawinen nach sich. Die unterdurchschnittlichen Temperaturen bremsten die Aktivität zwar etwas, dennoch wurden speziell am 13.04. und 14.04. zahlreiche Lockerschneelawinen beobachtet. 


Ablagerungen von frischen Lockerschneelawinen. Nördliche Stubaier Alpen (Foto: 14.04.2021)


Vorsicht vor Wechten



Im kammnahen Gelände lauert um diese Jahr eine nicht zu unterschätzende Wechtengefahr. Großglockner (Foto: 15.04.2021)



Ausblick


Es bleibt kühl. Ein Zwischenhoch bringt am Freitag, 16.04. sowie zumindest am Samstag, 17.04.  vormittags Sonne. Danach wird es bei einer Nordostströmung zunehmend unbeständig. An der Lawinensituation ändert sich vorerst wenig. Wir gehen von recht günstigen Verhältnissen zumindest in tiefen und mittleren Höhenlagen und von einer zum Teil heimtückischen Situation in größeren Höhen aus. Sonneneinstrahlung wird zu einer vermehrten Bindung oberflächennaher Schichten führen.

Übrigens können oberflächennahe Stabilitätsuntersuchungen erfahrenen Personen helfen, mögliche Schwachschichten aufzuspüren. Wir sind an solchen Beobachtungen sehr interessiert. Entsprechende Informationen am liebsten samt Angabe der Seehöhe und der Exposition bitte direkt an unsere zentrale e-mail: lawine@tirol.gv.at. Herzlichen Dank für eure Unterstützung!



Nur mehr wenige Lifte geöffnet


Traumhafte Bedingungen u.a. in dem, bis Sonntag, 18.04. noch geöffneten Skigebiet im Kühtai (Foto: 14.04.2021)

Donnerstag, 8. April 2021

Frischer Triebschnee sowie Lockerschneelawinen bilden die Hauptgefahr

Der Temperaturverlauf - alles andere als gewöhnlich


Wir befinden uns zwar aktuell gerade im April, der für seine Unbeständigkeit bekannt ist, dennoch blicken wir auf sehr ungewöhnliche Temperaturextreme zurück: Am besten lassen wir da einen der Experten der ZAMG-Wetterdienststelle, Alexander Radlherr, zu Wort kommen: 

"Das Auf und Ab bei den Temperaturen ist heuer schon besonders extrem. Vor einer Woche wurden – nur Tage nach dem letzten beachtlichen Wintereinbruch - an vielen Stationen Tirols (auch solchen mit langen Zeitreihen) neue Höchstwerte für den März aufgestellt. Am 07.04.2021 wurden hingegen an einzelnen Stationen mit eher kurzen Reihen Rekordtiefstwerte für April erreicht. An den gleichen Tagen des April 2003 war es in der Höhe noch 1 bis 2 Grad kälter, wobei das an vielen, auch „alten“ Stationen absolute Rekordtiefstwerte für April sind.

Tmax vom 31.03.2021:
Innsbruck +25,5; misst seit 1877
Umhausen +21,5, misst seit 1936
Brunnenkogel +3,1, misst seit 2003
Tmin vom 07.04.2021:
Brunnenkogel -24,6 (alter Rekord -22,5 aus 2015)
Denke, die großen Gegensätze diesen Winter sind nicht nur subjektiv so extrem."



Abweichung der Tagesmittel-Lufttemperatur am 30.03.2021 (auf den Bergen zeigt diese Darstellung noch ausgeprägtere Maxima als am 31.03.)



Abweichung der Tagesmittel-Lufttemperatur am 07.04.2021 


Auswirkung auf die Lawinengefahr


Anfangs Nassschneeproblem...


Bis inklusive 02.04.2021 befanden wir uns in einem Nassschnee-Lawinen-Zyklus. Mitte vergangener Woche waren u.a. die angesprochenen extrem warmen Temperaturen samt dem Strahlungseinfluss dafür verantwortlich. Am 02.04. beschleunigte dann nächtlicher Regen samt einem feuchtwarmen Wettergeschehen die Durchfeuchtung der Schneedecke - insbesondere in Schattenhängen. Die Schneefallgrenze variierte dabei stark und lag meist zwischen 1800m und 2400m.



Regenverteilung in Tirol vom 01.04. auf den 02.04.2021.  - dadurch meist fehlende nächtliche Ausstrahlung und raschere Durchfeuchtung der Schneedecke in Schattenhängen am 02.04.2021



Vereinzelt gabs sogar Blitz und Donner - wie hier in den Brandenberger Alpen (Foto: 02.04.2021)


Erstmals wurde am 02.04. in diesem Winter die Schneedecke in Schattenhängen in einem Höhenbereich zwischen etwa 2000m und 2200m (lokal etwas höher) tiefgreifend durchfeuchtet und geschwächt. Es lösten sich dort vermehrt feuchte bzw. nasse Lockerschneelawinen. Nur vereinzelt konnten wir auch Schneebrettlawinen beobachten. Eine dieser Lockerschneelawinen verschüttete den Weg zur Sulztalalm im Ötztal, auf der sich gerade ein Rodler bergwärts bewegte. Die Person wurde von der Lawine verschüttet und konnte nach 5 Stunden von einem Lawinenhund lebend geborgen werden. Eine große Atemhöhle ermöglichte ihm das lange Überleben in der Lawine. Inzwischen konnte die Person das Spital wieder verlassen.


Übersichtsbild des Einzugsgebietes der nassen Lockerschneelawine im Sulztal (Foto: 02.04.2021)



Der Pfeil zeigt auf die Verschüttungsstelle der Person (Foto: 02.04.2021)


Weitere Fotos von Lockerschneelawinen vom 02.04.2021...


Lockerschneelawine vom 02.04. am Weg zur Vennspitze in den Nördlichen Zillertaler Alpen (Foto: 06.04.2021)



Lockerschneelawinen vom 02.04. in den Nauderer Bergen (Foto: 08.04.2021)


Ab 03.04. zunehmende Stabilisierung, dann örtlich begrenztes Triebschneeproblem, verstärkt durch die Ausbildung des Gefahrenmusters kalt auf warm (gm.4)...


Als am Karsamstag, 03.04. die Lufttemperatur stetig abnahm, war die Nassschnee-Problematik rasch kein Thema mehr. Die Schneedecke stabilisierte sich. Am Osterwochenende war in Sonnenhängen (bei gedämpften Temperaturen) oftmals sogar guter Firn angesagt. Erst mit der Kaltfront, die am Ostermontag abends mit Temperatursturz und starkem Wind v.a. in den nördlichen Regionen vermehrt Schnee brachte, bildete sich ein Triebschneeproblem aus.



Eine jener Bereiche, wo es seit Ostermontag am meisten geschneit hat - Ulmerhütte (Arlberggebiet). Man erkennt aber auch den Temperatursturz samt kräftigem Windeinfluss



72h-Schneedifferenz für Tirol. Am meisten schneite es im Norden des Landes.


Vermehrt betroffen davon sind primär natürlich die schneereichen Regionen im Norden des Landes. Dort wiederum sollte vermehrt noch in kammnahem, sehr steilen, besonnten Gelände aber auch generell in schattigem Gelände, insbesondere in einem Höhenbereich zwischen etwa 2000m und 2500m aufgepasst werden. Dies erklärt sich v.a. dadurch, dass sich durch den extremen Temperaturgegensatz an der Grenzfläche zu Alt- und Neuschnee (zuvor Durchnässung der Schneedecke, dann Neuschnee samt Temperatursturz) vermehrt filzig-kantige Kristalle ausgebildet haben (Gefahrenmuster 4: kalt auf warm). Diese bilden aktuell eine mögliche Schwachschicht für die kürzlich gebildeten Triebschneepakete. 

Der Vorteil: Mit etwas Erfahrung lassen sich Triebschneepakete derzeit recht gut im Gelände erkennen und diesen entsprechend ausweichen. Weiter im Süden sind die Triebschneepakete meist nur gering mächtig. Zudem wird der wiederum zunehmende Strahlungseinfluss bei steigenden Temperaturen das Triebschneeproblem vielerorts rasch beseitigen.



Gut erkennbarer, in diesem Fall allerdings nur gering mächtiger Triebschnee. Nauderer Berge (Foto: 08.04.2021)



In Oberflächennähe erkennt man eine dünne schwache Schicht aus filzigen und kantigen Kristallen, die sich während der vergangenen Tage gebildet hat. SO, 2650m, Nauderer Berge


 
Ähnliches Bild wie oben: Oberflächennahe Schwachschicht. Hier irrelevant, da kein Brett darüber. Nord, 2350m, Nauderer Berge



Hier eine Schwachschicht unterhalb einer dünnen, am 02.04. gebildeten Schmelzkruste. Nord, 2440m, Stubaier Alpen



Kurzfristig Lockerschneelawinen...


Zusätzlich wird man insbesondere morgen am 09.04. vermehrt Lockerschneelawinen aus extrem steilem, besonnten Gelände beobachten können. Strahlungseinfluss und Temperaturanstieg werden zu einer oberflächigen Durchfeuchtung / Durchnässung samt Destabilisierung oberflächennaher Schichten führen.


Wie geht es weiter...


Bis zum Wochenende dominiert Hochdruckeinfluss mit milderem Wetter. Die Lawinengefahr wird tendenziell zurückgehen, der Tagesgang der Lawinengefahr allerdings wieder vermehrt zu beachten sein. In Summe werden durchaus recht günstige Verhältnisse überwiegen.


Ein noch kurzzeitiger Genuss: Pulverschnee auf einer harten Schneeoberfläche. (Foto: 08.04.2021)