Mittwoch, 31. März 2021

Erhöhte spontane Nassschnee-Lawinenaktivität - Zudem lokales Altschneeproblem schattig, schneearm, sehr steil - Lawinenunfallanalyse Brennerspitze

Außergewöhnlich warm - Zeitreserven für Touren und Variantenfahrten schwinden - spontane Lawinenaktivität nimmt zu!


Aktuell befinden wir uns in einer für die Jahreszeit außergewöhnlich warmen Phase. Die Nullgradgrenze liegt heute laut ZAMG-Wetterdienststelle auf 3300m. Trotz klarer Nacht und oberflächige Ausstrahlung und Abkühlung der Schneedecke beginnt die Schneedecke bereits während des Vormittags rasch wieder aufzuweichen. Die Lawinengefahr steigt entsprechend rasch an. Aktuell befinden wir uns ab den Nachmittagsstunden bei einer durchwegs kritischen Stufe 3 "erheblich", also im Nahbereich von "großer Lawinengefahr". 

Bereits gestern am 30.03.2021 konnte man im Tagesverlauf aus Sonnenhängen vermehrt spontane Nassschneelawinen (v.a. Lockerschnee- und Schneebrettlawinen) beobachten. Dieser Trend wird sich weiter verschärfen, also die Gefahrenstellen für Lawinenauslösungen sowie die spontanen Lawinen während des Tages weiter zunehmen.


Typisch für die aktuelle Situation: Sonnseitig brechen Schneebrettlawinen bevorzugt in oberflächennahen Schichten (Schneefälle ab 05.03.2021) (Foto: 30.01.2021)


Die Temperatur steigt, die Schneeoberfläche wird während des Tages nass, der Schnee schmilzt dahin. Station Muttekopfhütte (Östliche Lechtaler Alpen)




Expertenfalle: Schneearme Bereiche, schattig, sehr steil - bevorzugt kammnah


Die vergangenen, bekannt gewordenen Lawinenereignisse, bei denen Personen beteiligt waren, hatten bevorzugt mit einem lokalen Altschneeproblem zu tun, bei dem die tageszeitliche Erwärmung keine Rolle spielte. Solche Gefahrenbereiche gibt es weiterhin in größeren Höhen im schattigen Gelände. Schneebrettlawinen können dort bevorzugt an schneearmen Stellen im sehr bis extrem steilen, kammnahen Gelände ausgelöst werden. Neben der Mitreißgefahr muss dort nicht selten auch die Absturzgefahr entsprechend beachtet werden. Der Lawinenunfall unterhalb der Brennerspitze vom 28.03.2021 fiel auch in diese Kategorie. Darauf soll nun detaillierter eingegangen werden: 


Lawinenunfall Brennerspitze in den Stubaier Alpen am 28.03.2021


Gestern am 30.03.2021 analysierten wir gemeinsam mit der Alpinpolizei den Lawinenunfall. Es handelte sich um ein hartes Schneebrett, das im Anrissbereich ca. 25m breit und in Summe 1200m lang war. An der breitesten Stelle des Lawinenkegels wurden 90m gemessen. Die Lawine löste sich unmittelbar nach Einfahrt einer Person in den ca. 45° steilen Nordhang auf 2870m. In Folge wurde die Person von der Lawine erfasst, über felsdurchsetztes Gelände mitgerissen und in Folge total verschüttet. Unter Reanimation musste die Person ins Krankenhaus geflogen werden.



Schneebrettlawine Brennerspitze mit Verschüttungsstelle (Foto: 30.03.2021)



Der obere Pfeil zeigt den Bereich an, wo die Person eingefahren ist, der untere Pfeil die Spur bei der Anrisskante. Die Anrissmächtigkeit betrug dort ca. 1m, rechts versetzt um 2m, ganz oben 0,2 bis 0,3m. (Foto: 30.03.2021)



Blick vom Grat: Von hier sprang der Wintersportler in den Hang. Aufgrund der großen Belastung drang dieser anfangs etwas tiefer in die harte Schneedecke ein. Rechts dieser Spur erkennt man einen Riss. Das Schneebrett löste sich in Folge aber erst seitlich und unten versetzt. Am Lawinenkegel ist die Verschüttungsstelle eingezeichnet. (Foto: 30.03.2021)



Wir führten unsere Schneedeckenuntersuchungen im unmittelbaren Nahbereich der Einfahrtsspur durch. Maßgeblich für den Lawinenabgang war die Abfolge von harten und sehr weichen Schichten. Der oberste Teil der Schneedecke war massiv vom Wind geprägt und sehr hart. Darunter fanden wir eine sehr lockere Schicht aus Schwimmschnee und kantigen Kristallen. Nach unten zu wechselten weitere härtere und weichere Schichten ab.



Schneedeckenuntersuchungen bei der Einfahrtsspur (Pfeil). Wenig Schnee, harte Schneeauflage, im Bereich der waagrecht am Bild erkennbaren Säge war der Schnee sehr locker - Schwimmschnee und kantige Kristalle. (Foto: 30.03.2021)




Schneeprofil orographisch rechts neben der Einfahrtsspur. Der Block brach, nachdem dieser seitlich und hinten abgesägt wurde.



Profil orographisch links der Einfahrtsspur. Hier konnten zwei Brüche initiiert werden. Maßgeblich für den Lawinenabgang war der untere Bruch



Die Kollegen der Alpinpolizei bei der Verschüttungsstelle (Foto: 30.03.2021)