Donnerstag, 22. November 2018

Eine erste Schneedeckenanalyse


Bisheriger Winterverlauf

Der Winter ist vorerst nur in hohen und hochalpinen Lagen weiter im Süden des Landes eingekehrt. Maßgeblich beteiligt dafür waren die intensiven Niederschläge Ende Oktober. Bekanntlich gingen diese mit Unwettern einher, die im Süden zu Vermurungen, Überschwemmungen und großflächigen Windwürfen führten.

Ein Blick auf die hochgelegene Wetterstation am Pitztaler Gletscher in den Ötztaler Alpen hilft, das Wettergeschehen des heurigen Winters besser Revue passieren zu lassen: Die für die Schneedecke zumindest teilweise erstmals bedeutsamen Schneefälle gab es am 24.09., 01.10. und ab dem 24.10.2018. Auffallend sind die lange Schönwetterperiode ab Anfang Oktober sowie die großen Niederschlagsmengen Ende Oktober samt Sturm.

Bodennahe Schwachschicht

Für eine umfassende Schneedeckenanalyse ist es immer wichtig, die Entwicklung ab den ersten Schneefällen im Herbst zu verfolgen: Erstmals wurde es im Gebirge bereits am 25.08.2018 weiß (eine Kaltfront beendete den fünftwärmsten August der Messgeschichte). Dieser Schnee schmolz sehr rasch dahin, was vielerorts auch bei den folgenden Schneefällen am 01.09., 07.09., 24.09. und am 01.10. der Fall war.

Kurzfristig angezuckert, rasch wieder ausgeapert. Blick vom Nebelhorn in Oberstdorf Richtung Südosten am 02.10.2018 (© foto-webcam.eu)

In weiten Teilen Tirols war bis knapp Ende Oktober (nach einer dreiwöchigen Schönwetterphase) kein Herbstschnee mehr zu beobachten. Blick vom Nebelhorn in Oberstdorf Richtung Südosten am 26.10.2018 (© foto-webcam.eu)

Allerdings traf dies  nicht für hochalpines, insbesondere vergletschertes und zudem schattiges Gelände zu. Trotz des überdurchschnittlich sonnigen und warmen Oktobers (zehntwärmster der Messgeschichte) blieb Schnee dort liegen. An der Schneeoberfläche bildete sich dabei häufig eine mehr oder weniger dicke Schmelzkruste aus. Darunter begann sich der Schnee mitunter umzuwandeln, d.h. er wurde lockerer und bindungsloser. Fazit: An der Basis einiger uns zur Verfügung stehender Schneeprofile findet man lockere, kantige Kristalle bzw. Schwimmschnee – mögliche Schwachschichten für Schneebrettlawinen.

Schneeprofil am Kraspesferner in den Stubaier Alpen vom 04.11.2018; Nord, 2935m, 22°. Man erkennt die bodennahe, lockere Schicht. Die Eislamelle stammt von den Schneefällen bis 02.10. und bildete sich während der anschließenden 3-wöchigen Schönwetterphase. (© Lukas Ruetz)

Schneeprofil am Hintertuxer Gletscher in den Zillertaler Alpen vom 15.11.2018; Nordwest, 3070m, 38°. Ähnlich wie bei vorangegangenem Profil erkennt man unter einer harten Kruste lockeren, bodennahen Schwimmschnee. (© Stephan Mitter)

Vereinzelt lösten sich auf dieser bodennahen Schwachschicht bereits Schneebrettlawinen.

Schneebrettlawine, die während der stürmischen Niederschlagsperiode Ende Oktober in einer bodennahen Schwachschicht (auf Gletschereis) unterhalb des Grundschartners in den Zillertaler Alpen abgegangen ist. (Foto: 18.11.2018)

Abfolge von Krusten und lockeren Schichten in Oberflächennähe

Bedeutsam sind zudem Entwicklungen in oberflächennahen Schichten beginnend von etwa 2500m aufwärts. Innerhalb der ersten 10-30cm findet man teilweise eine Abfolge von Krusten und lockeren Kristallen. Die Krusten entstanden durch Regen bis häufig 2700m, lokal bis 3000m hinauf. Sie bildeten sich in besonnten Hängen aber auch durch Strahlungs- und Wärmeeinfluss.

Schneeprofil beim Tuxerfernerhaus in den Zillertaler Alpen vom 15.11.2018; Nord, 2660m, 25°. Die Abfolge von Krusten und lockeren Kristallen ist ein Resultat aus sich ändernden Temperaturen mit Schneefall und Regen während der Schlechtwetterphase ab dem 27.10. sowie anschließenden Umwandlungsprozessen. (© Walter Würtl)

Schneeprofil Riepenkees in den Zillertaler Alpen vom 15.11.2018; Ost, 2810m, 33°. Auch hier erkennt man die Abfolge von Krusten und lockeren Kristallen in oberflächennahen Schichten. Der Unterbau ist kompakt (© Peter Bletzacher)

Vereinzelt beobachtete man beim Betreten solch aufgebauter Schneedecken Risse bzw. konnte man Setzungsgeräusche wahrnehmen.

Eine lockere Schicht ca. 10cm unterhalb der Schneedecke angrenzend an eine Kruste wurde bei deren Betreten gestört. Die Folge: Setzungsgeräusch samt Rissbildung. Dies wurde vermehrt in flacherem und besonntem Gelände in einem Höhenbereich zwischen etwa 2500m und 2800m beobachtet. Südliche Ötztaler Alpen; 14.11.2018 (© Hugo Reindl)

Bei einem Stabilitätstest im Bereich des Hintertuxer Gletschers löste sich dieses oberflächennahe Schneepaket (Foto: 16.11.2018)

Ein Blick auf Wetterstationsgrafiken hilft bei der Interpretation dieser oberflächennahen Schichtabfolge:

Drei Wetterstationsgrafiken unterschiedlicher Standorte: Jamtalhütte am Alpenhauptkamm, Hochfilzen im Norden und Assling im Süden des Landes. Wir konzentrieren uns primär auf die zwei obersten Grafiken der Jamtalhütte: Ein Auf und Ab bei der Schneehöhe geht mit einem gegengleichen Verlauf der Lufttemperatur einher. Regen am 27.10., dann Schneefall am 28.10., der wieder in Regen übergeht (Schneehöhe nimmt ab). Dann am 29.10. und 30.10. neuerliche Abfolge von Schneefall und Regen. Auffallend ist auch der Nord-Süd-Gradient bei den Niederschlagsmengen (wobei zum Vergleich die unterschiedliche Skalierung beachtet werden muss).

Erste Lawinenabgänge mit Personenbeteiligung

Am Rettenbachferner in den Südlichen Ötztaler Alpen wurden heuer die ersten Lawinenabgänge mit Personenbeteiligung registriert. Zweimal (am 31.10. und am 03.11.) lösten Personen Lawinen aus, wurden jedoch jeweils nicht mitgerissen.

Lawinenabgang Rettenbachferner vom 03.11.2018. Die Lawine ging bis aufs Gletschereis ab. (Foto: 03.11.2018)

Schneeprofil zum Lawinenabgang Rettenbachferner vom 03.11.2018. Nordost, 2980m, 34°. Komplexe Schichtabfolge. (© Lukas Ruetz)

Wetterstationsgrafik Rettenbachferner: Bedeutsam für die Lawinenabgänge waren auch die Schneefälle ab dem 27.10. (Zu erkennen auch die letzten Neuschneefälle, die in der Höhe super Pulver brachten)

In Summe dennoch derzeit überwiegend günstige Verhältnisse

Obwohl man in gewissen Höhen- und Expositionsbereichen mögliche Schwachschichten für Schneebrettlawinen findet, kann in Summe dennoch von einer recht günstigen Situation ausgegangen werden. Dies hat zweierlei Gründe:

Die bodennahen Schwachschichten sind häufig von kompakten Schichten überlagert, sodass eine Störung durch Wintersportler unwahrscheinlich erscheint.

Bei den oberflächennahen Schichten spielt hingegen die derzeit meist nur geringe Überlagerung von Schnee ein Rolle: Das für das Schneebrett relevante „Brett“, also eine ausreichende Schneeauflage über der Schwachschicht fehlt.

Hochalpin findet man häufig eine massiv vom Wind beeinflusste und dadurch harte Schneedecke, so wie hier am Daunkoglferner in den Stubaier Alpen. (Foto: 14.11.2018)

Saharastaub

Wer in die Schneedecke gräbt wird nicht selten auf eine gelbliche Schicht stoßen. Es handelt sich dabei um Saharastaub, der sich um den 29.10. durch die Niederschläge massiv abgelagert hat.
Saharastaub, der sich im Norden ausbreitete

Die gelbe Schicht am Pistenrand in Hochgurgl wurde durch Saharastaub gefärbt. (Foto: 15.11.2018)

Schneekanonen

Die erste Novemberhälfte ist neuerlich überdurchschnittlich warm ausgefallen. Erst mit dem Rückgang der Temperatur ab dem 17.11. konnten deshalb in Tirol die Schneekanonen in Gang gesetzt werden. Laut Medienberichten laufen beispielsweise in der Silvretta Skiarena in Ischgl derzeit 1240 Schneekanonen, die bisher 800.000 m³ Schnee produzierten und dafür 300.000 m³ Wasser benötigten. Heute am 22.11. beginnt dort die Skisaison.

Schneekanonen laufen in Tirol auf Hochtouren. Blick vom Rofan in Richtung Süden. (Foto: 18.11.2018)

Künstlicher Schnee auch im grenznahen Bayern (Foto: 21.11.2018) © foto-webcam.eu

Weitere Impressionen…

Start der Skitourensaison in Osttirol für all jene, die auch längeres Skitragen bis etwa 2300m hinauf in Kauf nehmen (Foto: 14.11.2018)

Firngenuss im Frühwinter, Osttirol (Foto: 12.11.2018)

Pulver vom 19.11. in den Südlichen Ötztaler Alpen (Foto: 20.11.2018)

Kammnaher Oberflächenreif in einem Schattenhang oberhalb von  Serfaus (Foto: 12.11.2018)

Nicht selten: Anraum auf Gipfelkreuzen entlang des Alpenhauptkammes (Foto: 08.11.2018)

Der Hauptgrund für den Anraum: Feuchte Witterung samt stürmischem Wind. Kein Einzelfall, dass bei den Wetterstationen Böen um 150 km/h, zum Teil – wie bei dieser Station in den Südlichen Ötztaler Alpen – bis knapp 200 km/h gemessen wurden.

(Dieser Beitrag wurde unter Mithilfe unseres Praktikanten Michael Reisecker erstellt.)