LawinenzeitDen Begriff "Lawinenzeit" prägte der langjährige Ausbildungsleiter der Österreichischen Berg- und Skiführer Klaus Hoi. Er meinte damit, dass während bestimmter, kurzer Zeiträume eines Winters ein stark erhöhtes Lawinenrisiko besteht. Genau so eine Lawinenzeit hatten wir zwischen dem 03.02. und dem 06.02.2023. Innerhalb dieses kurzen Zeitraums starben 8 Personen unter Lawinen. (Eine vergleichbare Lawinenzeit gabs vergangenen Winter um dieselbe Zeit. Damals kamen zwischen dem 04.02. und dem 05.02. ebenso 8 Personen in Lawinen ums Leben.).
Altschneeproblem unfallkausal
Vorweg: Bei sämtlichen, kürzlich passierten tödlichen Lawinenunfällen war ein Altschneeproblem unfallkausal. Die Schneedeckenuntersuchungen vor Ort oder im Nahbereich der Lawinenunfälle zeigten alle dasselbe Bild: Eine langlebige Schwachschicht aus kantigen Kristallen (teilweise mit Schwimmschnee) befand sich unterhalb einer dünnen Schmelzkruste. Darüber war ein meist sehr gut ausgeprägtes Brett von den vorangegangenen Niederschlägen samt Verfrachtungen vorhanden.
Bei der Leitstelle Tirol gingen zwischen dem 03.02. und dem 05.02.2023 64 Lawinenmeldungen ein
Hier ein Überblick der von der Leitstelle Tirol zwischen dem 03.02. und dem 05.02.2023 gemeldeten Lawinenereignisse.
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Lawinenmeldungen gabs über ganz Tirol verteilt. (Die Karte wurde um den tödlichen Unfall am 06.02. im Wannenkar im Nahbereich der Hohen Wasserfalle ergänzt) 7 Lawinen mit Todesfolge, 15 Lawinen mit Personenbeteiligung, 42 Negativlawinen (Karte: (c) Landeswarnzentrale Tirol) |
Lawinenunfallerhebungen großteils mit Unterstützung des Landeshubschraubers
Unsere Unfallanalysen finden gemeinsam mit der Alpinpolizei statt. Sehr hilfreich ist da immer der Landeshubschrauber, der uns während hektischer Zeiten zeitsparende Unfallanalysen ermöglicht.
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Der Landeshubschrauber samt Flight Operator bei der Unfallerhebung am Hohen Aifner (Foto: 05.02.2023) |
Lawinenunfall Königstal (Gurgler Gruppe) am 03.02.2023
Kurzer Sachverhalt
3 Personen fuhren vom Skigebiet Hochgurgl im Bereich des Wurmkogels in das freie Skigelände ein. Sie wollten anfangs über das Kleine Königstal in das Königstal und von dort ins Tal gelangen. Die später verunfalle Person wählte zuvor bereits dieselbe Abfahrtsroute. Bei einer leicht überwechteten Geländekante wollte diese Person über eine Geländekante springen. Sie ließ sich dabei von einem Kollegen filmen. Nach dem Sprung kam die Person allerdings zu Sturz, wobei sich anschließend eine Lawine löste und die Person mitriss. Die Person wurde recht tief verschüttet und überlebte den Lawinenabgang nicht.
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Lawinenunfall Königstal vom 03.02.2023. Der Kreis symbolisiert die Verschüttungsstelle. Das Foto wurde zwei Tage nach dem Lawinenunfall aufgenommen. Gut zu erkennen, die aufgrund von Schneefall und Sturm bedingte hohe spontane Lawinenaktivität im Nahbereich der Unfalllawine. Die Lawine löste sich auf 2500m in einem extrem steilen SW-Hang. Die Lawine war ca. 100m breit und 200m lang. (Foto: 05.02.2023) |
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Nahaufnahme des Anrissgebietes: Der Pfeil zeigt die Geländekante und die ungefähre Stelle, wo die verunfallte Person in den Hang gesprungen ist. (Foto: 03.02.2023) |
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Das Schneeprofil wurde 120m oberhalb des Lawinenanrisses aufgenommen. Die Schwachschicht aus kantigen Kristallen war zwischen zwei Krusten eingebettet - "Krustensandwich" (Profil vom 05.02.2023) |
Lawinenunfall Gedrechter (Östliche Tuxer Alpen) am 04.02.2023
Kurzer Sachverhalt
Ein sehr guter Skifahrer fuhr im Nahbereich des Neuhüttenliftes nördlich des Gedrechters mit weiteren Personen Richtung Tal. Der Skifahrer entfernte sich dabei von der Gruppe und kam nördlich einer gesperrten Piste in den freien Skiraum. Dort löste sich ein Schneebrett, das ihn mitriss und ca. 2m tief verschüttete. Der Lawinenunfall ereignete sich bei schlechten Sichtverhältnissen, weshalb die Gruppe den Lawinenunfall erst verspätet mitbekommen hatte. Die verschüttete Person konnte mittels LVS-Gerät geortet und anschließend ausgegraben werden. Die Hilfe kam zu spät.
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Die Lawine im Nahbereich des Gedrechter. Die Lawine löste sich kammnah in einer Höhe von 2050m in einem extrem steilen NO-Hang. Die Lawine war ca. 120m lang und 60m breit. Kreis: Verschüttungsstelle (Foto: 05.02.2023) |
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Der obere Bereich des Lawinenanrisses (Foto: 05.02.2023) |
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Interessant an diesem Profil ist die oberflächennahe Ausbildung einer dünnen Schmelzkruste samt kantigen Kristallen. Vermutlich durch gm.4 (kalt auf warm) entstanden. Dort ev. Primärbruch, darunter im Bereich des Krustensandwiches sekundärer Bruch. (Profil vom 05.02.2023) |
Lawinenunfall Hohe Aifnerspitze (Kaunergrat) am 04.02.2023Kurzer Sachverhalt
Ein einzelner Tourengeher ging mit seinem Hund auf die Hohe Aifnerspitze. Es handelte sich dabei um ein vom Tourengeher häufig angepeiltes Tourenziel. Bei der Abfahrt im extrem steilen Gelände ging eine Schneebrettlawine ab, die den Tourengeher und den Hund mitriss. Dem Hund gelang es, nach ca. 800m der Lawine zu entrinnen. Der Tourengeher hingegen wurde total verschüttet. Der Hund lief daraufhin zu seinem Wohnort. Angehörige leiteten eine Suchaktion ein. Am 05.02. konnte der Tourengeher, der kein LVS-Gerät bei sich hatte, mittels eines Recco-Sensors vom Hubschrauber aus geortet werden. Bei der anschließenden Bergung konnte nur mehr der Tod des Skitourengehers festgestellt werden.
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Lawinenabgang Hohe Aifnerspitze. Die Person wurde beim Knick im Bereich der Waldgrenze aufgefunden. Die Lawine löste sich in einer Seehöhe von etwa 2700m in einem 40° steilen SO-Hang. |
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Im Nahbereich des Anrissgebietes. Der Pfeil zeigt die Einfahrtsspur. (Foto: 05.02.2023) |
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Profilort orographisch links der Unfalllawine. Bei allen Unfällen ein sehr ähnliches Bild. (Profil vom 05.02.2023) |
Lawinenunfall Kapall - Törli (Westliche Lechtaler Alpen)
Kurzer Sachverhalt
3 Variantenfahrer fuhren vom Skigebiet St.Anton vom Kapall in Richtung Törli-Schöngraben. Noch bevor die geführte Gruppe die extrem steile Einfahrt in den darunter befindlichen Graben erreichte, löste sich ein kleines Schneebrett. Die Gruppe fuhr weiter in den extrem steilen Graben. Dort ging eine weitere Lawine ab. Diese Lawine riss zwei der Personen mit. Eine Person konnte ausfahren. Diese Person setzte den Notruf ab und wurde anschließend vom Hubschrauber in Sicherheit gebracht. Aufgrund der großen Lawinengefahr wurde die Suche nach den Verschütteten auf den Folgetag verschoben. Die vermissten Personen konnten dann mittels LVS-Gerät geortet und aus ca. 3 bzw. 4m Tiefe nur mehr tot ausgegraben werden.
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Bei der langgezogenen Lawine in magenta handelt es sich um die Unfalllawine. Die darüber in magenta eingefärbte Lawine war jene, die sich zuvor schon während der Abfahrt der Personen löste. Die in violett eingefärbten Lawinen wurden als Sicherheitsmaßnahme für die Bergung der Opfer gesprengt. Die Lawine löste sich in einer Seehöhe von etwa 2010m in einem O-Hang. Die Breite betrug ca. 30m, die Länge 550m. (Foto: 04.02.2023) |
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Das Schneeprofil wurde abseits des Lawinenabgangs beim nahe gelegenen Almajurjochs aufgenommen. Das Profil im Anrissbereich wird sehr ähnlich ausgeschaut haben - eine langanhaltende Schwachschicht unterhalb einer dünnen Schmelzkruste (Profil vom 09.02.2023) |
Lawinenunfall Steinermandl (Schobergruppe) vom 04.02.2023
Kurzer Sachverhalt
Ein Traktorfahrer wollte eine Forststraße im Debanttal in der Schobergruppe vom Schnee räumen. Dazu fuhr er anfangs über das Debanttal taleinwärts, um dann über den sogenannten Stubenweg oberhalb versetzt Richtung Zettersfeld zu gelangen. Als sich die Person mit ihrem Traktor auf der Forststraße in einem bekannten Lawinenstrich, der "Jasdorfer Lana" befand, löste sich ca. 700 Hm oberhalb eine Schneebrettlawine. Diese erfasste den Traktor mit voller Wucht. Die Person wurde aus dem Traktor geschleudert. Sie konnte teilverschüttet während einer nächtlichen Suchaktion nur mehr tot aufgefunden werden. Der Traktor wurde ca. 200m mitgerissen und komplett zerstört.
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Die rote Linie zeigt die Forststraße. Die Person kam mit ihrem Traktor von rechts her. Der Kreis zeigt den Liegepunkt des völlig zerstörten Traktors. Das Anrissgebiet der Lawine befindet sich auf ca. 2150m. Die Lawine ist im Anrissgebiet um 100m breit und ca. 1000m lang. Die Lawine löste sich in einem extrem steilen NO-Hang. (Foto 05.02.2023) |
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Liegepunkt des Traktors. (Foto: 07.02.2023) |
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Das Profil wurde im Nahbereich des Lawinenanrisses aufgenommen. Die Störanfälligkeit variierte in Abhängigkeit der Schneemächtigkeit. An schneereichen Stellen war die Schneedecke in der Regel weniger störanfällig als an schneearmen Stellen. (Profil vom 07.02.2023) |
Lawinenunfall Eisenkar (Geigenkamm) vom 05.02.2023
Kurzer Sachverhalt3 Skitourengeher peilten das Eisenkar am Geigenkamm als ihr Tourenziel an. Während des Aufstiegs begegneten sie zwei abfahrende Skitourengeher, mit denen sie sich kurz über die angespannten Lawinenverhältnisse austauschten. Die Gruppe befand sich im Aufstieg in einem Steilhang, bemerkten ein Setzungsgeräusch und wollten daraufhin umdrehen. In Folge löste sich jedoch eine Schneebrettlawine, die alle drei Personen mitriss. Zwei der Personen hatten einen Airbag dabei und wurden nur teilweise verschüttet. Eine Person mit LVS-Gerät war hingegen total verschüttet. Durch Kameradenrettung gelang eine Bergung des Skitourengehers nach ca. 20 Minuten. Vor Ort durchgeführte Wiederbelebungsmaßnahmen blieben erfolglos.
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Magenta: Unfalllawine mit Verschüttungsstelle. Die Lawine war ca. 80m breit und 400m lang und löste sich auf ca. 2540m in einem extrem steilen SO-Hang. Violett: Kürzlich abgegangene spontane Lawinen (Foto: 05.02.2023) |
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Notarzthubschrauber im Einsatz. Ellipse: Verschüttungsstelle (Foto: 05.02.2023) |
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Das Profil wurde etwas südlich versetzt an einem kleinen Hang aufgenommen. Es zeigt die bedeutsame Schwachschicht, die am Unfallhang wohl noch etwas ausgeprägter vorhanden gewesen sein dürfte. (Profil vom 05.02.2023) |
Lawinenunfall Wannenkar (Kühtai - Geigenkamm) vom 06.02.2023Kurzer Sachverhalt
Ein Skitourengeher ging alleine von Niederthai in Richtung Hohe Wasserfalle. Versetzt des Aufstiegs zur Hohen Wasserfalle wählte der Skitourengeher einen Aufstieg im Wannenkar bis zum nördlichen Ende eines Kessels. Dort machte sich der Skitourengeher zur Abfahrt bereit und fuhr vermutlich um die Mittagszeit ab. Gegen 16:00 Uhr wurden von den Angehörigen eine Vermisstenmeldung eingebracht. In den Abendstunden konnte unter Zuhilfenahme von Drohnen ein Lawinenkegel ausgemacht werden. Dieser wurde am folgenden Tag in den Morgenstunden von der Alpinpolizei und Bergrettung mittels LVS-Gerät abgesucht. Rasch konnte der Verschüttete durch ein Signal aufgefunden werden. Die Hilfe kam jedoch zu spät.
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Lawine Wannenkar mit Einfahrtsspur und Verschüttungsstelle (verdeckt hinter der Geländekuppe). Die Lawine löste sich in einer Höhe von etwa 2600m in einem extrem steilen SO-Hang. Die Lawine war ca. 200m lang und 350m breit. (Foto: 07.02.2023) |
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Einfahrtsspur Wannenkar. (Foto: 08.02.2023) |
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Schneeprofil mit einer Schwachschicht aus kantigen Kristallen und Schwimmschnee unterhalb einer dünnen Schmelzkruste (Profil vom 07.02.2023) |
Impressionen der vergangenen Woche
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Der Sturm auf den Bergen war am 04.02. außergewöhnlich. Durch die großräumigen Verfrachtungen und die dadurch bedingte Zusatzbelastung lösten sich einige, vereinzelt auch sehr große Schneebrettlawinen spontan. Bergerkogel im Villgratental (Foto: 04.02.2023) |
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Der Wind griff auch in den Waldbereich über. Frade (Foto: 04.02.2023) |
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Sehr gute Sprengerfolge in weiten Teilen Tirols, wie hier in der Schlick (Foto: 05.02.2023) |
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Schneebrettlawine im Waldgrenzbereich. Außerfern (Foto: Adolf Kerber) |
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Auf steilen Wiesenhängen: Potential von kleinen und mittelgroßen Gleitschneelawinen. Kelmen (Foto: Elisabeth Zangerl, am 07.02.2023) |
Ausblick
Nach Tagen mit einer sehr hohen Lawinenaktivität nimmt die Zahl der Gefahrenstellen von Tag zu Tag ab. Entsprechend nimmt auch die Lawinengefahr tendenziell ab. Dennoch, die Situation bleibt heimtückisch, da Gefahrenbereiche weiterhin schwer erkennbar sind und in allen Hangrichtungen anzutreffen sind. Dies vermehrt oberhalb etwa 1800m. Im Außerfern gibt es Rückmeldungen von erhöhter Störanfälligkeit der Schneedecke auch im Waldgrenzbereich und etwas unterhalb. Aktuell raten wir v.a. noch vor der Befahrung großer, gleichmäßiger, bisher unverspurter, sehr steiler Hänge ab. Lawinen lassen sich aktuell v.a. an Übergangsbereichen von wenig zu viel Schnee auslösen. Nachdem Fernauslösungen bei einigen uns bekannt gewordenen Lawinenabgängen ein Thema waren (u.a. Lawinenunfall Hohe Warte vom 05.02.2023) sind während der vergangenen Tage keine diesbezüglichen Meldungen mehr eingegangen. Wir gehen auch deshalb davon aus, dass Fernauslösungen kaum mehr auftreten sollten.
Günstiger ist es in tiefen und mittleren Höhenlagen, in den besonders schneereichen Regionen und überall dort, wo das Gelände den gesamten Winter über verspurt war.