Gefahrenstellen sind oft nicht zu erkennen
Ein Altschneeproblem ist durch lang anhaltende (persistente) Schwachschichten innerhalb der Schneedecke charakterisiert. Daraus ergibt sich, dass Gefahrenbereiche, wo Lawinen ausgelöst werden können, kaum bis gar nicht von außen zu erkennen sind. Dies ist nur durch systematische Schneedeckenuntersuchungen und die Kenntnis von Alarmzeichen (Wumms, Lawinenabgänge, Rissbildungen, Fernauslösungen) möglich. Dadurch gelingt es uns allerdings, das Altschneeproblem zumindest relativ gut einzugrenzen:
Altschneeproblem v.a. zwischen 1600m und 2500m im Sektor W über N bis O
Wir gehen aktuell davon aus, dass wir das Altschneeproblem vermehrt in einem Höhenband zwischen etwa 1600m und 2500m im Sektor West über Nord bis Ost vorfinden. Südseitig sollten Gefahrenstellen nur vereinzelt und dann in größeren Höhen anzutreffen sein.
In Nordtirol ist das Altschneeproblem deutlich stärker ausgeprägt als in Osttirol
Diese Erkenntnis deckt sich u.a. auch mit unseren Beobachtungen, die wir am 23.01. angestellt haben, als sich durch gefrierenden Nebel in Nordtirol gebietsweise recht ausgeprägte Krusten an der Schneeoberfläche gebildet haben. In Folge entwickelte sich darunter eine häufig gut ausgeprägte Schicht aus kantigen Kristallen. Osttirol war davon, wenn überhaupt, nur ganz im Norden betroffen.
Heimtückische Situation
Die Lawinensituation lässt sich aktuell wohl am besten als "heimtückisch" charakterisieren. Aufgrund der zum Teil recht gleichmäßig und großflächig vorhandenen Schwachschichten sind unverändert auch große Lawinenabgänge möglich. Ebenso muss man weiterhin vereinzelt auch noch mit Fernauslösungen von flachem Gelände aus rechnen. Dies umso mehr, je unberührter bisher das Gelände war.
|
Spontaner Lawinenabgang in der Östlichen Verwallgruppe (Foto: 08.02.2022) |
|
Ein durch Fernauslösung abgegangenes Schneebrett im Arztal in den Tuxer Alpen (Foto: 05.02.2022) |
|
Lawinenabgänge Marchkopf in den Östlichen Tuxer Alpen: Am 08.02. löste ein Wintersportler primär das im Vordergrund ersichtliche Schneebrett aus und wurde beim Kreis total verschüttet. LVS-Gerät war nicht eingeschaltet dabei. Person konnte durch herausragenden Ski gerade noch rechtzeitig geborgen werden. Sekundär löste sich die blau eingefärbte Lawine. Das rot eingefärbte Schneebrett im Hintergrund wurde am selben Tag bereits etwas früher vermutlich auch von Wintersportlern ausgelöst. (Foto: 10.02.2022) |
|
Lawinenabgänge Marchkopf: Ganz links: Lawine mit Einfahrtsspur. Ganz rechts als dünner Streifen dargestellt: Die am selben Tag früher vermutlich von Wintersportlern ausgelöste Schneebrettlawine. (Foto: 10.02.2022) |
|
Schneebrett im Nahbereich des Gilfert in den Östlichen Tuxer Alpen (Foto: 06.02.2022) |
|
Großflächiges Schneebrett auch in den Östlichen Lechtaler Alpen bei Namlos (Foto: 10.02.2022) |
|
Schneebretter. Links angrenzend ein viel befahrenes Variantengelände bei See im Paznauntal (Foto: 05.02.2022) |
|
Sulztal im Nahbereich der Amberger Hütte: Das Schneebrett löste sich während der Abfahrt eines Wintersportlers. Kopf war außerhalb der Lawine. Personen konnten den Betroffenen unverletzt ausgraben. (Foto: 09.02.2022) |
|
Setzungsgeräusch samt Rissbildung in den Nördlichen Stubaier Alpen (Foto: 08.02.2022) |
Schwachschichten befinden sich fast ausschließlich im Mittelteil der Schneedecke
Die Analyse der Lawinenabgänge zeigt praktisch überall dasselbe Bild: Die bedeutsame Schwachschicht befindet sich im Bereich der ehemaligen Altschneeoberfläche, die ab dem 31.01. eingeschneit wurde. Es handelt sich um kantige Kristalle unterhalb einer dünnen Schmelzkruste, die teilweise von einer weiteren Kruste eingebettet sind ("Krusten-Sandwich).
|
Beim Handschuh befindet sich die Schwachschicht, darüber eine dünne Kruste, darüber Trieb- und Neuschnee ab 31.01.2022. Ötztaler Alpen (Foto: 06.02.2022) |
|
Schwachschicht unterhalb einer dünnen Schmelzkruste. Profil vom 05.02.2022; 2100m, West, 31°, Westliche Tuxer Alpen (c) Alexander Blümel |
|
"Krusten-Sandwich" in den Östlichen Lechtaler Alpen. Profil vom 10.02.2022; 1970m, Nord, 30°, (c) Markus Fleischmann |
Gehäuft beobachtet: Gleitschneelawinen
Die vergangenen Tage waren speziell in mittleren Höhenlagen sehr warm. Dadurch wurde die Schneedecke an schneearmen teilweise bis zum Boden hin feucht. Entsprechend erhöhte sich die Aktivität von Gleitschneerutschen und -lawinen, zumindest in mittleren Höhenlagen.
|
Gleitschneelawine, die am 10.02. abgegangen ist. Links davon erkennt man einen Gleitschneeriss. Östliche Tuxer Alpen |
Wetterrückblick
Die vergangene Woche war durch etwas intensivere Niederschläge vom 06.02. auf den 07.02. sowie außergewöhnlich stürmische Verhältnisse am 07.02. geprägt. Bei der Station Innsbruck Universität wurde damals sogar das bisherige Maximum der Windgeschwindigkeit gemessen.
|
Sehr starker Wind auch am Innsbrucker Flughafen.
|
|
Der Sturm hinterließ auch im Gelände seine Spuren. Abgerissene Lärchenäste. Nördliches Osttirol (Foto: 08.02.2022) |
|
Schlechtwetter mit Schneefall und Sturm am 06.02. und 07.02.. Anschließend wärmer werdend. Schneedecke wird im Tagesverlauf feucht |
|
Differenz der Gesamtschneehöhe vom 06.02. auf den 07.02.
|
Außergewöhnlich: Anzahl an gemeldeten Lawinenereignissen zwischen 03.02. und 06.02.2022
Noch nie wurden uns in so kurzer Zeit so viele Lawinenereignisse seitens der Leitstelle Tirol gemeldet, wie vergangene Woche. Hier ein Überblick:
|
71 Lawinen in 3 Tagen, davon 3 Lawinen mit insgesamt 8 Todesopfern. Die meisten Lawinen sind "Negativlawinen", also gemeldete Lawinen, bei denen definitiv keine Personen zu Schaden gekommen sind. |
Ausblick für das Wochenende
Am 11.02. bringt eine Kaltfront etwas Schnee in Tirol. Meist sollten es um 10cm, im Nordwesten etwas mehr sein. Danach soll es rasch aufklaren. Samstag und Sonntag versprechen schöne Tage bei leichtem Südföhn zu werden. An dem heimtückischen Altschneeproblem ändert sich vorerst nichts!
|
Wir appellieren an eine gute Tourenplanung und Zurückhaltung. (Foto: 09.02.2022) |