Donnerstag, 24. Februar 2022

Schwachschichten im Altschnee bilden die Hauptgefahr

Stellenweise noch schwache Schichten im Altschnee

Mit Hilfe von Schneedeckenuntersuchungen, Stabilitätstests und Schneedeckenmodellen verfolgen wir  die Entwicklung des seit Anfang des Monats vorhandenen Altschneeproblems. Es zeigt sich, dass die Gefahrenstellen stetig abnehmen, unter ungünstigen Voraussetzungen jedoch weiterhin Auslösungen in kantigen Schichten speziell im Mittelteil der Schneedecke möglich sind. Sehr vereinzelt können Lawinen immer noch groß werden, meist sind diese inzwischen jedoch mittelgroß.


Schneedeckenuntersuchungen helfen, das Altschneeproblem noch besser zu erfassen. Bielerhöhe (Foto: 20.02.2022)
Schneedeckenuntersuchungen helfen, das Altschneeproblem noch besser zu erfassen. Bielerhöhe (Foto: 20.02.2022)



Solchen Gefahrenbereiche findet man am ehesten noch im Sektor W über N bis O zwischen etwa 2200m und 2600m. Zudem gehen wir in Südhängen speziell oberhalb von etwa 2600m von vereinzelten solcher Gefahrenstellen aus. Lawinen können v.a. an Übergängen von wenig zu viel Schnee ausgelöst werden. Meist bedarf es dazu inzwischen großer Zusatzbelastung. Im Englischen wird diese Situation treffend mit "low probability - high consequence" umschrieben.


Spontaner Lawinenabgang vom 22.02.. Zunehmende Auflast aufgrund umfangreicher Schneeverfrachtungen. Nördliche Zillertaler Alpen, NO, 2400m (Foto: 23.02.2022)
Spontaner Lawinenabgang vom 22.02.. Zunehmende Auflast aufgrund umfangreicher Schneeverfrachtungen. Hohe Warte, Nördliche Zillertaler Alpen, NO, 2400m (Foto: 23.02.2022)



Spontanes Schneebrett vom 22.02. aufgrund von Schneeverfrachtungen. Nördliche Stubaier Alpen (Foto: 24.02.2022)
Spontanes Schneebrett vom 22.02. aufgrund von Schneeverfrachtungen. Stiergschwetz. Nördliche Stubaier Alpen. 2400m, Nord (Foto: 24.02.2022)



Lawinenauslösung im Nahbereich des Taschachhauses am 20.02.2022 in der Weißkugelgruppe. NO, 2350m
Lawinenauslösung im Nahbereich des Taschachhauses am 20.02.2022 in der Weißkugelgruppe. NO, 2350m 



Ein durch einen Sprung ausgelöstes Schneebrett auf ca. 2600m Süd in den Ötztaler Alpen. Vermutlich reines Triebschneeproblem. Möglich: Kombiniertes Trieb- und Altschneeproblem. (Foto: 23.02.2022)
Ein durch einen Sprung ausgelöstes Schneebrett auf ca. 2600m Süd in den Ötztaler Alpen. Vermutlich reines Triebschneeproblem. Möglich: Kombiniertes Trieb- und Altschneeproblem. (Foto: 23.02.2022)

Heute am 24.02. wurden wir von der Leitstelle Tirol überdies von zwei Lawinenabgängen informiert, bei denen Personen verletzt wurden. Einer davon war im Nahbereich des Marchginggeles in Innervillgraten (ca. 2500m, Nord), ein weiterer in der Weißkugelgruppe (ca. 2600m, Süd). 


Ein von stürmischem Wind geprägte Schneedecke

Vergangene Woche zeichnete sich (wieder einmal) durch stürmischen Windeinfluss auf den Bergen aus. Am kräftigsten wehte dieser am 22.02.2022. Frische Triebschneepakete konnten v.a. in größeren Höhen im sehr steilen Gelände ausgelöst werden. Aufgrund des bereits recht intensiven Strahlungseinflusses sowie des Wärmeeintrags in die Schneedecke haben sich die meisten Triebschneepakete bereits recht gut mit der Altschneeoberfläche verbunden.


Eine der vergangene Woche neuschneereichsten Regionen: Das Arlberggebiet. Stürmischer Wind während des Schneefalls.
Eine der vergangene Woche neuschneereichsten Regionen: Das Arlberggebiet. Stürmischer Wind während des Schneefalls.


Sturmumtost: Venedigergruppe (Foto: 22.02.2022)
Sturmumtost: Venedigergruppe (Foto: 22.02.2022)


Zitat vom Fotografen: "Windkanal Tannheim" (Foto: 20.02.2022)
Zitat vom Fotografen: "Windkanal Tannheim" (Foto: 20.02.2022)


Bezeichnend für ganz Tirol. Umfangreiche Schneeverfrachtungen. Grießkogelgruppe (Foto: 21.02.2022)
Bezeichnend für ganz Tirol. Umfangreiche Schneeverfrachtungen. Grießkogelgruppe (Foto: 21.02.2022)


Ein häufiges Bild der Schneeoberfläche in Tirol: Stark vom Wind gezeichnet. Zudem für die Jahreszeit wenig Schnee. Deferegger Berge. (Foto: 24.02.2022)
Ein häufiges Bild der Schneeoberfläche in Tirol: Stark vom Wind gezeichnet. Zudem für die Jahreszeit wenig Schnee. Deferegger Berge. (Foto: 24.02.2022)


Trotz unregelmäßiger Schneeoberfläche findet man mitunter recht guten Schnee zum Skifahren. Nördliche Stubaier Alpen (Foto: 24.02.2022)
Trotz unregelmäßiger Schneeoberfläche findet man mitunter auch recht guten Schnee zum Skifahren. Nördliche Stubaier Alpen (Foto: 24.02.2022)


Unterdurchschnittliche Schneehöhe

In weiten Teilen Tirols sind die Schneehöhen für die Jahreszeit gering. Außergewöhnlich gering ist diese im südlichen Osttirol. 


Magenta: Schneehöhenverlauf des heurigen Winters. Kurzfristig erreichte die Gesamtschneehöhe das bisher gemessene Minimum (Messreihe seit 1961!)
Magenta: Schneehöhenverlauf des heurigen Winters. Kurzfristig erreichte die Gesamtschneehöhe das bisher gemessene Minimum (Messreihe seit 1961!)


Blick vom südlichen Osttirol in Richtung Norden (Foto: 22.02.2022)
Blick vom südlichen Osttirol in Richtung Norden (Foto: 22.02.2022)


In Sonnenhängen liegt gebietsweise besonders wenig Schnee. Nördliche Stubaier Alpen (Foto: 24.02.2022)
In Sonnenhängen liegt gebietsweise besonders wenig Schnee. Nördliche Stubaier Alpen (Foto: 24.02.2022)


Etwas Nachschub gabs zwischen dem 21.02. und 23.02.2022
Etwas Nachschub gabs zwischen dem 21.02. und 23.02.2022


Ausblick

An der Lawinensituation ändert sich vorerst wenig. Das Wetter wird seitens der ZAMG-Wetterdienststelle folgendermaßen charakterisiert: "Nach Durchzug einer Kaltfront in der zweiten Nachthälfte (vom 24.02. auf den 25.02.) kühlt es deutlich ab, morgen (25.02.) strömt tagsüber von Norden her dann vorübergehend trockenere Luft nach. Am Samstag (26.02.) leichter Störungseinfluss, ab Sonntag (27.02.) Hochdruckeinfluss. Bis übers Wochenende hinaus entspricht die Temperatur dann in etwa dem langjährigen Mittel.

Donnerstag, 17. Februar 2022

Turbulente Wetterlage - frische Triebschneepakete - unverändert Altschneeproblematik - Anfeuchtung in tieferen Lagen

Turbulent

..so lässt sich das aktuelle Wettergeschehen wohl am besten umschreiben. Niederschlag (Schnee, dann Regen bis teilweise 2500m hinauf), orkanartiger Wind und ein Auf und Ab bei den Temperaturen.


Neuschnee am 15.02.2022. Steigende Temperaturen. Stürmischer Wind im südlichen Osttirol
Neuschnee am 15.02.2022. Steigende Temperaturen. Stürmischer Wind. (Südliches Osttirol)


24h Neuschneesumme 15.12. auf 16.12.2022 (bis zu 40cm waren es am Karnischen Kamm im Südlichen Osttirol
24h Neuschneesumme 15.02. auf 16.02.2022 (bis zu 40cm waren es am Karnischen Kamm im Südlichen Osttirol


Im Westen des Landes gabs auch noch am 17.02. Niederschlag, bis in hohe Lagen als Regen.
Im Westen des Landes gabs auch noch am 17.02. Niederschlag, bis in hohe Lagen als Regen.


Niederschlag mit Regen vom 16.02. auf den 17.02. Diesmal am meisten ganz im Westen des Landes
Niederschlag mit Regen vom 16.02. auf den 17.02. Diesmal am meisten ganz im Westen des Landes


Ganz neu auf lawinen.report: Karte der (potentiellen) Schneefallgrenze. Hier jene vom 17.02.2022 06:00 Uhr
Ganz neu auf lawinen.report: Karte der (potentiellen) Schneefallgrenze. Hier jene vom 17.02.2022 06:00 Uhr


Auswirkungen auf die Schneedecke sowie die Lawinengefahr

Der am 15.02. anfangs noch unter wenig Windeinfluss gefallene Schnee wird aktuell massiv verfrachtet. Im ganzen Land beobachtet man große Schneefahnen auf den Bergen. Frische Triebschneepakete sind v.a. in höheren Lagen störanfällig. Im neuschneereicheren, südlichen Osttirol können zudem auch schattige Steilbereiche in mittleren Höhenlagen davon betroffen sein.  

Neuschnee vom 15.02. am Weg zur Vennspitze in den Nördlichen Zillertaler Alpen (Foto: 16.02.2022)
Neuschnee vom 15.02. am Weg zur Vennspitze in den Nördlichen Zillertaler Alpen (Foto: 16.02.2022)


Schneeverfrachtungen auf den Bergen. Hier im Defereggental (Foto: 17.02.2022)
Schneeverfrachtungen auf den Bergen. Hier im Defereggental (Foto: 17.02.2022)


Zudem wurde die Schneeoberfläche in tiefen und zumindest mittleren Höhenlagen angefeuchtet. Ganz im Westen bei intensivem Regen drang das Wasser entsprechend tiefer in die Schneedecke ein. Die Kombination aus Triebschnee und Erwärmung führte vereinzelt sogar zu kleinen bis mittelgroßen spontanen Schneebrettlawinen.

Mit weiter steigenden Temperaturen am 18.02. bleibt die Schneeoberfläche vorerst in tiefen und mittleren Lagen eher feucht. Die Gleitschneelawinenaktivität kann während der kommenden Tage, insbesondere in den Gebieten, wo es viel regnete, etwas erhöht sein.


Gleitschneelawine, die sich am 14.02. unterhalb der Hohen Salve in den Westlichen Kitzbüheler Alpen löste. Ein Lawineneinsatz konnte abgebrochen werden.
Gleitschneelawine, die sich am 14.02. unterhalb der Hohen Salve in den Westlichen Kitzbüheler Alpen löste. Ein Lawineneinsatz konnte abgebrochen werden.


Erhöhte Wahrscheinlichkeit von Dachlawinen durch Regeneintrag und Wärmeeinfluss. M;ieminger Gebirge (Foto: 12.02.2022)
Erhöhte Wahrscheinlichkeit von Dachlawinen durch Regeneintrag und Wärmeeinfluss. Mieminger Gebirge (Foto: 12.02.2022)


Feuchte bis nasse Lockerschneelawinen durch Regen- bzw. Wärmeeintrag. Defereggenberge (Foto: 17.02.2022)
Feuchte bis nasse Lockerschneelawinen durch Regen- bzw. Wärmeeintrag. Defereggerberge (Foto: 17.02.2022)


An dem, in den vergangenen Blogeinträgen erwähnten, Altschneeproblem ändert sich vorerst wenig. Mancherorts kann sich das "Brett" durch Wärmeeintrag und zusätzliche (Triebschnee-)auflast neuerlich etwas mehr ausgeprägt haben, während die Schwachschicht tendenziell geringfügig weniger störanfällig sein sollte. Bruchfortpflanzungen über große Distanzen sind jedoch unverändert möglich.


Die Skispur deutet darauf hin, dass sich die Lawine löste, als die Person in deren Nahbereich war. Nördliche Stubaier Alpen (Foto: 14.02.2022)
Die Skispur deutet darauf hin, dass sich die Lawine löste, als die Person in deren Nahbereich war. Nördliche Stubaier Alpen (Foto: 14.02.2022)


Es bleibt unbeständig. An der Lawinensituation ändert sich wenig

Auf einen außergewöhnlich warmen Freitag, 18.02. folgt am Samstag eine schwache Kaltfront. Es bleibt windig, ist aber nicht mehr so stürmisch. Eine markantere Kaltfront ist dann für Montag,  21.02.2022 vorhergesagt. Wetterbegünstigt ist Osttirol. 

Montag, 14. Februar 2022

Lawinenunfallanalyse Schafseitenspitze inkl. weitere Eindrücke zur aktuellen Altschneeproblematik

Lawinenunfall Schafseitenspitze vom 13.02.2022


Heute am 14.02.2022 waren wir mit der Alpinpolizei unterhalb der Schafseitenspitze in den Westlichen Tuxer Alpen, um dort gemeinsam die Unfallanalyse durchzuführen.


Unterstützt wurden wir vom Landeshubschrauber (Foto: 14.02.2022)
Unterstützt wurden wir vom Landeshubschrauber (Foto: 14.02.2022)


Unfallablauf

Zum Unfallzeitpunkt befanden sich eine Person am Gipfel der Schafseitenspitze, eine Gruppe von 6 Personen auf einem Rücken, der Richtung Gipfel zieht und ein einzelner Skitourengeher in etwas Abstand  zur 6-er Gruppe, allerdings noch im steileren Bereich des Hanges. Die 6-er Gruppe nahm am Rücken ein Wummgeräusch war und bemerkte, wie sich im Nahbereich von ihnen eine Schneebrettlawine löste. Der Einzelgänger wurde von den Schneemassen mitgerissen und total verschüttet. Er konnte von den nicht verschütteten Personen rasch geortet und ausgegraben werden, musste jedoch reanimiert werden. Die Crew des Notarzthubschraubers setzte die Reanimation fort und flog den Skitourengeher in die Innsbrucker Klinik. (Anmerkung vom 16.02.2022: Die Alpinpolizei hat uns informiert, dass die verschüttete Person am 15.02.2022 verstorben ist.)


Überblicksbild der Unfalllawine. Der Pfeil zeigt die Aufstiegsrichtung der Skitourengeher. Während die 6-er Gruppe bereits am Rücken war, befand sich der Einzelgänger noch im Hang (im Nahbereich des Rückens). Die Ellipse zeigt die Verschüttungsstelle. Violett: Sekundärlawinen, die durch Bruchfortpflanzung innerhalb einer ausgeprägten Schwachschicht unmittelbar nach der Unfalllawine abgegangen sind. (Foto: 14.02.2022)
Überblicksbild der Unfalllawine. Der Pfeil zeigt die Aufstiegsrichtung der Skitourengeher. Während die 6-er Gruppe bereits am Rücken war, befand sich der Einzelgänger noch im Hang (im Nahbereich des Rückens). Die Ellipse zeigt die Verschüttungsstelle. Violett: Sekundärlawinen, die durch Bruchfortpflanzung innerhalb einer ausgeprägten Schwachschicht unmittelbar nach der Unfalllawine abgegangen sind. (Foto: 14.02.2022)


Schneedeckenanalyse

Unsere Schneedeckenuntersuchungen ergaben das von uns erwartete Bild: Unterhalb des ab 31.01.2022 gebildeten Neu- und Triebschneepaketes befand sich ein "Krusten-Sandwich", also zwei Schmelzkrusten, zwischen denen sich eine lockere kantige Schwachschicht befand. Diese Schwachschicht muss über sehr große Distanzen gleichmäßig vorhanden sein. Denn nur so sind einerseits die Größe des Schneebretts, andererseits die Sekundärlawinen erklärbar.


Schneeprofil im Bereich des flacheren Rückens, der Richtung Gipfel zieht. Der Pfeil zeigt auf die relevante Schwachschicht. Im Hintergrund ein Teil des Lawinenanrisses. (Foto: 14.02.2022)
Schneeprofil im Bereich des flacheren Rückens, der Richtung Gipfel zieht. Der Pfeil zeigt auf die relevante Schwachschicht. Im Hintergrund ein Teil des Lawinenanrisses. (Foto: 14.02.2022)


Profil an oberem Standort: Der rote Pfeil zeigt die Schwachschicht, die an diesem Standort von einer dünnen Schmelzkruste sowie einer Eislamelle umgeben ist. Man benötigte mittlere Belastung um die Schwachschicht zu stören. Der Bruch pflanzte sich jeweils über den gesamten Block fort. Nord, 20°, 2420m.
Profil an oberem Standort: Der rote Pfeil zeigt die Schwachschicht, die an diesem Standort von einer dünnen Schmelzkruste sowie einer Eislamelle umgeben ist. Man benötigte mittlere Belastung um die Schwachschicht zu stören. Der Bruch pflanzte sich jeweils über den gesamten Block fort. Nord, 20°, 2420m. 


Blick von der Lawinenbahn in Richtung des Rückens. Man erkennt sehr gut die von rechts nach links deutlich abnehmende Anrissmächtigkeit des Schneebretts. (Foto: 14.02.2022)
Blick von der Lawinenbahn in Richtung des Rückens. Man erkennt sehr gut die von rechts nach links deutlich abnehmende Anrissmächtigkeit des Schneebretts. (Foto: 14.02.2022)


Lawinenausmaß

Bei der Lawine handelte es sich um eine sehr große Schneebrettlawine. Die Gesamtlänge betrug ca.  950m, die Breite 300m (Anmerkung: Die Werte wurden nach Nachmessungen mit einer GIS-Applikation am 15.02. korrigiert: Erstannahme: Länge: 1050m, Breite: 450m). Die Anrissmächtigkeit lag meist zwischen 60 und 100cm mit entsprechenden Abweichungen nach oben und unten. Die Lawine löste sich in einem bis zu 40° steilen Nordhang. Der Verschüttete lag in einer Tiefe von etwas über einem Meter.

 
Verschüttungsstelle im Vordergrund samt Lawinenanriss ganz im Hintergrund. (Foto: 14.02.2022)
Verschüttungsstelle im Vordergrund samt Lawinenanriss ganz im Hintergrund. (Foto: 14.02.2022)


Weitere Eindrücke zur aktuellen Altschneeproblematik

Bei der Analyse der zahlreichen Lawinenereignisse ergibt sich aktuell grob folgendes Bild: Die allermeisten Lawinen lösten sich in einem Höhenband zwischen etwa 2150m und 2500m im Sektor West über Nord bis Ost (Anmerkung vom 15.02.2022: eine Lawine auf 2600m im extrem steilen nordexponierten Gelände). Während vor etwa 10 Tagen die Lawinen vermehrt auch im tieferen Höhensegment (auch unterhalb der Waldgrenze) ausgelöst wurden, verschiebt sich diese Höhengrenze tendenziell nach oben (aktuell etwa 2300m-2500m / 2600m). 

In den Stubaier Alpen beobachten wir im Vergleich zu den übrigen Regionen Nordtirols im Nordsektor vermehrt Lawinen auch im Höhenband zwischen etwa 2600m bis knapp 3000m hinauf. Dies hat wohl mit der ab Ende Jänner vergleichsweise geringeren Neuschneezuwächsen zu tun, die dort zu vermehrter aufbauender Umwandlung in windgeschützten Schattenhängen führten.


Blick von den Stubaier Alpen in die schneereicheren Nordalpen  (Foto: 13.02.2022)
Blick von den Stubaier Alpen in die schneereicheren Nordalpen  (Foto: 13.02.2022)


Zudem fällt auf, dass insbesondere in weniger frequentierten Bereichen immer noch Wummgeräusche und Rissbildungen wahrgenommen werden. Lawinen lassen sich v.a. an schneearmen Bereichen bzw. an Übergängen von wenig zu viel Schnee stören. Lawinen können unverändert groß bis vereinzelt sehr groß werden...


Lawinenabgang Jochgrubenkopf am 11.02.2022. Es kam niemand zu Schaden (Foto: 14.02.2022)
Lawinenabgang Jochgrubenkopf am 11.02.2022. Es kam niemand zu Schaden (Foto: 14.02.2022)


Spontane Lawinenabgänge Medrig (Variantengebiet des Skigebietes See im Paznauntal). Vergleiche Foto von diesem Blogeintrag) (Foto: 12.02.2022)
Spontane Lawinenabgänge Medrig (Variantengebiet des Skigebietes See im Paznauntal). Vergleiche Foto von diesem Blogeintrag) (Foto: 12.02.2022)


Lawinenabgang vom 13.02.2022 Hohe Warte im Wildlahnertal in den Nördlichen Zillertaler Alpen. Eine Person fuhr vom darüber liegenden Kamm in den Hang ein. Es passierte nichts. (Foto: 14.02.2022)
Lawinenabgang vom 13.02.2022 Hohe Warte im Wildlahnertal in den Nördlichen Zillertaler Alpen. Eine Person fuhr vom darüber liegenden Kamm in den Hang ein. Es passierte nichts. (Foto: 14.02.2022)


Schneebrettabgang Seblasspitze in den Nördlichen Stubaier Alpen vom 13.02.2022. Es kam niemand zu Schaden (Foto: 14.02.2022)
Schneebrettabgang Seblasspitze in den Nördlichen Stubaier Alpen vom 13.02.2022. Es kam niemand zu Schaden (Foto: 14.02.2022)

Es gibt auch Gutes zu berichten...

Günstiger ist die Lawinensituation allgemein in Osttirol. Das Altschneeproblem ist dort weniger ausgeprägt. Am ehesten sollte man dort im Nordsektor im sehr steilen Gelände an Übergängen von wenig zu viel Schnee bzw. im kammnahen Gelände in allen Expositionen in großen Höhen aufzupassen.

Günstiger ist es auch im - während des gesamten Winters - ständig verspurten Variantengelände. 

Und südseitig findet man zumindest in mittleren Höhenlagen eine durchwegs stabile Schneedecke mit kürzlichem Firngenuss. 


Firn bei der Abfahrt im Glocknergebiet (Foto: 14.02.2022)
Firn bei der Abfahrt im Glocknergebiet (Foto: 14.02.2022)


Turbulent gehts weiter...

Das Wetter stellt sich um. Es wird sehr wechselhaft: Kalt, warm, Regen, Sturm. Alles ist dabei...Mehr dazu spätestens am kommenden Donnerstag, 17.02.2022


Sonntag, 13. Februar 2022

Neuerlich einige Lawinenabgänge mit Personenbeteiligung - sehr großer Lawinenabgang auf der Nordseite der Schafseitenspitze in den Westlichen Tuxer Alpen

Seit Donnerstag, 10.02.2022  zählten wir 16 Lawinenmeldungen der Leitstelle Tirol.  

Bei zwei Lawinenunfällen gab es schwer Verletzte. Einmal war dies am Samstag, 12.02. im Variantenbereich des Kaunertaler Gletscher-Skigebietes zwischen Weißseejoch und Krummgampental. Dort wurde eine in der Abfahrt befindliche Person von einem Schneebrett erfasst, mitgerissen und blieb mit gezogenem Lawinenairbag an der Schneeoberfläche zu liegen.


Schneebrettabgang Richtung Krummgampental - Variantenbereich Kaunertaler Gletscher (Foto: 12.02.2022)
Schneebrettabgang Richtung Krummgampental - Variantenbereich Kaunertaler Gletscher (Foto: 12.02.2022)


Lawinenunfall Weißseejoch-Krummgampental Geländeneigung: Der Unfall passierte auf etwa 2600m in einem extrem steilen nordexponierten Hang
Lawinenunfall Weißseejoch-Krummgampental Geländeneigung: Der Unfall passierte auf etwa 2600m in einem extrem steilen nordexponierten Hang


Heute am 13.02. löste sich eine sehr große Schneebrettlawine auf der Nordseite der Schafseitenspitze in den Westlichen Tuxer Alpen, als sich Personen im Aufstieg befanden. Eine Person wurde von der Lawine mitgerissen und in Folge total verschüttet. Sie konnte via Kameradenrettung ausgegraben werden und musste unter Reanimation ins Krankenhaus geflogen werden.


Sehr große Schneebrettlawine Schafseitenspitze (magenta). Durch den Lawinenabgang wurden zwei weitere Schneebrettlawinen fernausgelöst (violett). Foto: 13.02.2022
Sehr große Schneebrettlawine Schafseitenspitze (magenta). Durch den Lawinenabgang wurden zwei weitere Schneebrettlawinen fernausgelöst (violett). Foto: 13.02.2022


Geländeneigungskarte Schafseitenspitze mit Örtlichkeit des Lawinenabgangs.
Geländeneigungskarte Schafseitenspitze mit Örtlichkeit des Lawinenabgangs.

Morgen am 14.02. werden wir gemeinsam mit der Alpinpolizei Erhebungen zum Lawinenunglück auf der Schafseitenspitze durchführen. Weitere Details folgen in einem weiteren, zeitnahen Blogeintrag.

Freitag, 11. Februar 2022

Heimtückisches Altschneeproblem

Gefahrenstellen sind oft nicht zu erkennen

Ein Altschneeproblem ist durch lang anhaltende (persistente) Schwachschichten innerhalb der Schneedecke charakterisiert. Daraus ergibt sich, dass Gefahrenbereiche, wo Lawinen ausgelöst werden können, kaum bis gar nicht von außen zu erkennen sind. Dies ist nur durch systematische  Schneedeckenuntersuchungen und die Kenntnis von Alarmzeichen (Wumms, Lawinenabgänge, Rissbildungen, Fernauslösungen) möglich. Dadurch gelingt es uns allerdings, das Altschneeproblem zumindest relativ gut einzugrenzen:

Altschneeproblem v.a. zwischen 1600m und 2500m im Sektor W über N bis O

Wir gehen aktuell davon aus, dass wir das Altschneeproblem vermehrt in einem Höhenband zwischen etwa 1600m und 2500m im Sektor West über Nord bis Ost vorfinden. Südseitig sollten Gefahrenstellen nur vereinzelt und dann in größeren Höhen anzutreffen sein. 

In Nordtirol ist das Altschneeproblem deutlich stärker ausgeprägt als in Osttirol 

Diese Erkenntnis deckt sich u.a. auch mit unseren Beobachtungen, die wir am 23.01. angestellt haben, als sich durch gefrierenden Nebel in Nordtirol gebietsweise recht ausgeprägte Krusten an der Schneeoberfläche gebildet haben. In Folge entwickelte sich darunter eine häufig gut ausgeprägte Schicht aus kantigen Kristallen. Osttirol war davon, wenn überhaupt, nur ganz im Norden betroffen.

Heimtückische Situation

Die Lawinensituation lässt sich aktuell wohl am besten als "heimtückisch" charakterisieren. Aufgrund der zum Teil recht gleichmäßig und großflächig vorhandenen Schwachschichten sind unverändert auch große Lawinenabgänge möglich. Ebenso muss man weiterhin vereinzelt auch noch mit Fernauslösungen von flachem Gelände aus rechnen. Dies umso mehr, je unberührter bisher das Gelände war.


Spontaner Lawinenabgang in der Östlichen Verwallgruppe (Foto: 08.02.2022)
Spontaner Lawinenabgang in der Östlichen Verwallgruppe (Foto: 08.02.2022) 


Ein durch Fernauslösung abgegangenes Schneebrett im Arztal in den Tuxer Alpen (Foto: 05.02.2022)
Ein durch Fernauslösung abgegangenes Schneebrett im Arztal in den Tuxer Alpen (Foto: 05.02.2022)


Lawinenabgänge Marchkopf in den Östlichen Tuxer Alpen: Am 08.02. löste ein Wintersportler primär das im Vordergrund ersichtliche Schneebrett aus und wurde beim Kreis total verschüttet. LVS-Gerät war nicht eingeschaltet dabei. Person konnte durch herausragenden Ski gerade noch rechtzeitig geborgen werden. Sekundär löste sich die blau eingefärbte Lawine. Das rot eingefärbte Schneebrett im Hintergrund wurde am selben Tag bereits etwas früher vermutlich auch von Wintersportlern ausgelöst. (Foto: 10.02.2022)
Lawinenabgänge Marchkopf in den Östlichen Tuxer Alpen: Am 08.02. löste ein Wintersportler primär das im Vordergrund ersichtliche Schneebrett aus und wurde beim Kreis total verschüttet. LVS-Gerät war nicht eingeschaltet dabei. Person konnte durch herausragenden Ski gerade noch rechtzeitig geborgen werden. Sekundär löste sich die blau eingefärbte Lawine. Das rot eingefärbte Schneebrett im Hintergrund wurde am selben Tag bereits etwas früher vermutlich auch von Wintersportlern ausgelöst. (Foto: 10.02.2022)


Lawinenabgänge Marchkopf: Ganz links: Lawine mit Einfahrtsspur. Ganz rechts als dünner Streifen dargestellt: Die am selben Tag früher vermutlich von Wintersportlern ausgelöste Schneebrettlawine. (Foto: 10.02.2022)
Lawinenabgänge Marchkopf: Ganz links: Lawine mit Einfahrtsspur. Ganz rechts als dünner Streifen dargestellt: Die am selben Tag früher vermutlich von Wintersportlern ausgelöste Schneebrettlawine. (Foto: 10.02.2022)


Schneebrett im Nahbereich des Gilfert in den Östlichen Tuxer Alpen (Foto: 06.02.2022)
Schneebrett im Nahbereich des Gilfert in den Östlichen Tuxer Alpen (Foto: 06.02.2022)


Großflächiges Schneebrett auch in den Östlichen Lechtaler Alpen bei Namlos (Foto: 10.02.2022)
Großflächiges Schneebrett auch in den Östlichen Lechtaler Alpen bei Namlos (Foto: 10.02.2022)


Schneebretter. Links angrenzend ein viel befahrenes Variantengelände bei See im Paznauntal (Foto: 05.02.2022)
Schneebretter. Links angrenzend ein viel befahrenes Variantengelände bei See im Paznauntal (Foto: 05.02.2022)


Sulztal im Nahbereich der Amberger Hütte: Das Schneebrett löste sich während der Abfahrt eines Wintersportlers. Kopf war außerhalb der Lawine. Personen konnten den Betroffenen unverletzt ausgraben. (Foto: 09.02.2022)
Sulztal im Nahbereich der Amberger Hütte: Das Schneebrett löste sich während der Abfahrt eines Wintersportlers. Kopf war außerhalb der Lawine. Personen konnten den Betroffenen unverletzt ausgraben. (Foto: 09.02.2022) 



Setzungsgeräusch samt Rissbildung in den Nördlichen Stubaier Alpen (Foto: 08.02.2022)
Setzungsgeräusch samt Rissbildung in den Nördlichen Stubaier Alpen (Foto: 08.02.2022)


Schwachschichten befinden sich fast ausschließlich im Mittelteil der Schneedecke

Die Analyse der Lawinenabgänge zeigt praktisch überall dasselbe Bild: Die bedeutsame Schwachschicht befindet sich im Bereich der ehemaligen Altschneeoberfläche, die ab dem 31.01. eingeschneit wurde. Es handelt sich um kantige Kristalle unterhalb einer dünnen Schmelzkruste, die teilweise von einer weiteren Kruste eingebettet sind ("Krusten-Sandwich). 

Beim Handschuh befindet sich die Schwachschicht, darüber eine dünne Kruste, darüber Trieb- und Neuschnee ab 31.01.2022. Ötztaler Alpen (Foto: 06.02.2022)
Beim Handschuh befindet sich die Schwachschicht, darüber eine dünne Kruste, darüber Trieb- und Neuschnee ab 31.01.2022. Ötztaler Alpen (Foto: 06.02.2022) 



Schwachschicht unterhalb einer dünnen Schmelzkruste. Profil vom 05.02.2022; 2100m, 31°, West, Westliche Tuxer Alpen (c) Alexander Blümel
Schwachschicht unterhalb einer dünnen Schmelzkruste. Profil vom 05.02.2022; 2100m, West, 31°, Westliche Tuxer Alpen (c) Alexander Blümel 



"Krusten-Sandwich" in den Westlichen Lechtaler Alpen. Profil vom 10.02.2022; 1970m, Nord, 30°, Östliche Lechtaler Alpen (c) Markus Fleischmann
"Krusten-Sandwich" in den Östlichen Lechtaler Alpen. Profil vom 10.02.2022; 1970m, Nord, 30°, (c) Markus Fleischmann 


Gehäuft beobachtet: Gleitschneelawinen

Die vergangenen Tage waren speziell in mittleren Höhenlagen sehr warm. Dadurch wurde die Schneedecke an schneearmen teilweise bis zum Boden hin feucht. Entsprechend erhöhte sich die Aktivität von Gleitschneerutschen und -lawinen, zumindest in mittleren Höhenlagen. 


Gleitschneelawine, die am 10.02. abgegangen ist. Links davon erkennt man einen Gleitschneeriss. Östliche Tuxer Alpen
Gleitschneelawine, die am 10.02. abgegangen ist. Links davon erkennt man einen Gleitschneeriss. Östliche Tuxer Alpen

Wetterrückblick

Die vergangene Woche war durch etwas intensivere Niederschläge vom 06.02. auf den 07.02. sowie außergewöhnlich stürmische Verhältnisse am 07.02. geprägt. Bei der Station Innsbruck Universität wurde damals sogar das bisherige Maximum der Windgeschwindigkeit gemessen.


Historisch: Noch nie wurde am Innsbrucker Flughfen so eine hohe Windgeschwindigkeit gemessen (115 km/h)
 Sehr starker Wind auch am Innsbrucker Flughafen.



Der Sturm hinterließ auch im Gelände seine Spuren. Abgerissene Lärchenäste. Nördliches Osttirol (Foto: 08.02.2022)
Der Sturm hinterließ auch im Gelände seine Spuren. Abgerissene Lärchenäste. Nördliches Osttirol (Foto: 08.02.2022)


Schlechtwetter mit Schneefall und Sturm am 06.02. und 07.02.. Anschließend wärmer werdend. Schneedecke wird im Tagesverlauf feucht
Schlechtwetter mit Schneefall und Sturm am 06.02. und 07.02.. Anschließend wärmer werdend. Schneedecke wird im Tagesverlauf feucht


Differenz der Gesamtschneehöhe vom 06.02. auf den 07.02.
Differenz der Gesamtschneehöhe vom 06.02. auf den 07.02.

Außergewöhnlich: Anzahl an gemeldeten Lawinenereignissen zwischen 03.02. und 06.02.2022

Noch nie wurden uns in so kurzer Zeit so viele Lawinenereignisse seitens der Leitstelle Tirol gemeldet, wie vergangene Woche. Hier ein Überblick:


71 Lawinen in 3 Tagen, davon 3 Lawinen mit insgesamt 8 Todesopfern. Die meisten Lawinen sind "Negativlawinen", also gemeldete Lawinen, bei denen definitiv keine Personen zu Schaden gekommen sind.
71 Lawinen in 3 Tagen, davon 3 Lawinen mit insgesamt 8 Todesopfern. Die meisten Lawinen sind "Negativlawinen", also gemeldete Lawinen, bei denen definitiv keine Personen zu Schaden gekommen sind.


Ausblick für das Wochenende

Am 11.02. bringt eine Kaltfront etwas Schnee in Tirol. Meist sollten es um 10cm, im Nordwesten etwas mehr sein. Danach soll es rasch aufklaren. Samstag und Sonntag versprechen schöne Tage bei leichtem Südföhn zu werden. An dem heimtückischen Altschneeproblem ändert sich vorerst nichts!


Wir appellieren an eine gute Tourenplanung und Zurückhaltung. (Foto: 09.02.2022)
Wir appellieren an eine gute Tourenplanung und Zurückhaltung. (Foto: 09.02.2022)