Montag, 14. Februar 2022

Lawinenunfallanalyse Schafseitenspitze inkl. weitere Eindrücke zur aktuellen Altschneeproblematik

Lawinenunfall Schafseitenspitze vom 13.02.2022


Heute am 14.02.2022 waren wir mit der Alpinpolizei unterhalb der Schafseitenspitze in den Westlichen Tuxer Alpen, um dort gemeinsam die Unfallanalyse durchzuführen.


Unterstützt wurden wir vom Landeshubschrauber (Foto: 14.02.2022)
Unterstützt wurden wir vom Landeshubschrauber (Foto: 14.02.2022)


Unfallablauf

Zum Unfallzeitpunkt befanden sich eine Person am Gipfel der Schafseitenspitze, eine Gruppe von 6 Personen auf einem Rücken, der Richtung Gipfel zieht und ein einzelner Skitourengeher in etwas Abstand  zur 6-er Gruppe, allerdings noch im steileren Bereich des Hanges. Die 6-er Gruppe nahm am Rücken ein Wummgeräusch war und bemerkte, wie sich im Nahbereich von ihnen eine Schneebrettlawine löste. Der Einzelgänger wurde von den Schneemassen mitgerissen und total verschüttet. Er konnte von den nicht verschütteten Personen rasch geortet und ausgegraben werden, musste jedoch reanimiert werden. Die Crew des Notarzthubschraubers setzte die Reanimation fort und flog den Skitourengeher in die Innsbrucker Klinik. (Anmerkung vom 16.02.2022: Die Alpinpolizei hat uns informiert, dass die verschüttete Person am 15.02.2022 verstorben ist.)


Überblicksbild der Unfalllawine. Der Pfeil zeigt die Aufstiegsrichtung der Skitourengeher. Während die 6-er Gruppe bereits am Rücken war, befand sich der Einzelgänger noch im Hang (im Nahbereich des Rückens). Die Ellipse zeigt die Verschüttungsstelle. Violett: Sekundärlawinen, die durch Bruchfortpflanzung innerhalb einer ausgeprägten Schwachschicht unmittelbar nach der Unfalllawine abgegangen sind. (Foto: 14.02.2022)
Überblicksbild der Unfalllawine. Der Pfeil zeigt die Aufstiegsrichtung der Skitourengeher. Während die 6-er Gruppe bereits am Rücken war, befand sich der Einzelgänger noch im Hang (im Nahbereich des Rückens). Die Ellipse zeigt die Verschüttungsstelle. Violett: Sekundärlawinen, die durch Bruchfortpflanzung innerhalb einer ausgeprägten Schwachschicht unmittelbar nach der Unfalllawine abgegangen sind. (Foto: 14.02.2022)


Schneedeckenanalyse

Unsere Schneedeckenuntersuchungen ergaben das von uns erwartete Bild: Unterhalb des ab 31.01.2022 gebildeten Neu- und Triebschneepaketes befand sich ein "Krusten-Sandwich", also zwei Schmelzkrusten, zwischen denen sich eine lockere kantige Schwachschicht befand. Diese Schwachschicht muss über sehr große Distanzen gleichmäßig vorhanden sein. Denn nur so sind einerseits die Größe des Schneebretts, andererseits die Sekundärlawinen erklärbar.


Schneeprofil im Bereich des flacheren Rückens, der Richtung Gipfel zieht. Der Pfeil zeigt auf die relevante Schwachschicht. Im Hintergrund ein Teil des Lawinenanrisses. (Foto: 14.02.2022)
Schneeprofil im Bereich des flacheren Rückens, der Richtung Gipfel zieht. Der Pfeil zeigt auf die relevante Schwachschicht. Im Hintergrund ein Teil des Lawinenanrisses. (Foto: 14.02.2022)


Profil an oberem Standort: Der rote Pfeil zeigt die Schwachschicht, die an diesem Standort von einer dünnen Schmelzkruste sowie einer Eislamelle umgeben ist. Man benötigte mittlere Belastung um die Schwachschicht zu stören. Der Bruch pflanzte sich jeweils über den gesamten Block fort. Nord, 20°, 2420m.
Profil an oberem Standort: Der rote Pfeil zeigt die Schwachschicht, die an diesem Standort von einer dünnen Schmelzkruste sowie einer Eislamelle umgeben ist. Man benötigte mittlere Belastung um die Schwachschicht zu stören. Der Bruch pflanzte sich jeweils über den gesamten Block fort. Nord, 20°, 2420m. 


Blick von der Lawinenbahn in Richtung des Rückens. Man erkennt sehr gut die von rechts nach links deutlich abnehmende Anrissmächtigkeit des Schneebretts. (Foto: 14.02.2022)
Blick von der Lawinenbahn in Richtung des Rückens. Man erkennt sehr gut die von rechts nach links deutlich abnehmende Anrissmächtigkeit des Schneebretts. (Foto: 14.02.2022)


Lawinenausmaß

Bei der Lawine handelte es sich um eine sehr große Schneebrettlawine. Die Gesamtlänge betrug ca.  950m, die Breite 300m (Anmerkung: Die Werte wurden nach Nachmessungen mit einer GIS-Applikation am 15.02. korrigiert: Erstannahme: Länge: 1050m, Breite: 450m). Die Anrissmächtigkeit lag meist zwischen 60 und 100cm mit entsprechenden Abweichungen nach oben und unten. Die Lawine löste sich in einem bis zu 40° steilen Nordhang. Der Verschüttete lag in einer Tiefe von etwas über einem Meter.

 
Verschüttungsstelle im Vordergrund samt Lawinenanriss ganz im Hintergrund. (Foto: 14.02.2022)
Verschüttungsstelle im Vordergrund samt Lawinenanriss ganz im Hintergrund. (Foto: 14.02.2022)


Weitere Eindrücke zur aktuellen Altschneeproblematik

Bei der Analyse der zahlreichen Lawinenereignisse ergibt sich aktuell grob folgendes Bild: Die allermeisten Lawinen lösten sich in einem Höhenband zwischen etwa 2150m und 2500m im Sektor West über Nord bis Ost (Anmerkung vom 15.02.2022: eine Lawine auf 2600m im extrem steilen nordexponierten Gelände). Während vor etwa 10 Tagen die Lawinen vermehrt auch im tieferen Höhensegment (auch unterhalb der Waldgrenze) ausgelöst wurden, verschiebt sich diese Höhengrenze tendenziell nach oben (aktuell etwa 2300m-2500m / 2600m). 

In den Stubaier Alpen beobachten wir im Vergleich zu den übrigen Regionen Nordtirols im Nordsektor vermehrt Lawinen auch im Höhenband zwischen etwa 2600m bis knapp 3000m hinauf. Dies hat wohl mit der ab Ende Jänner vergleichsweise geringeren Neuschneezuwächsen zu tun, die dort zu vermehrter aufbauender Umwandlung in windgeschützten Schattenhängen führten.


Blick von den Stubaier Alpen in die schneereicheren Nordalpen  (Foto: 13.02.2022)
Blick von den Stubaier Alpen in die schneereicheren Nordalpen  (Foto: 13.02.2022)


Zudem fällt auf, dass insbesondere in weniger frequentierten Bereichen immer noch Wummgeräusche und Rissbildungen wahrgenommen werden. Lawinen lassen sich v.a. an schneearmen Bereichen bzw. an Übergängen von wenig zu viel Schnee stören. Lawinen können unverändert groß bis vereinzelt sehr groß werden...


Lawinenabgang Jochgrubenkopf am 11.02.2022. Es kam niemand zu Schaden (Foto: 14.02.2022)
Lawinenabgang Jochgrubenkopf am 11.02.2022. Es kam niemand zu Schaden (Foto: 14.02.2022)


Spontane Lawinenabgänge Medrig (Variantengebiet des Skigebietes See im Paznauntal). Vergleiche Foto von diesem Blogeintrag) (Foto: 12.02.2022)
Spontane Lawinenabgänge Medrig (Variantengebiet des Skigebietes See im Paznauntal). Vergleiche Foto von diesem Blogeintrag) (Foto: 12.02.2022)


Lawinenabgang vom 13.02.2022 Hohe Warte im Wildlahnertal in den Nördlichen Zillertaler Alpen. Eine Person fuhr vom darüber liegenden Kamm in den Hang ein. Es passierte nichts. (Foto: 14.02.2022)
Lawinenabgang vom 13.02.2022 Hohe Warte im Wildlahnertal in den Nördlichen Zillertaler Alpen. Eine Person fuhr vom darüber liegenden Kamm in den Hang ein. Es passierte nichts. (Foto: 14.02.2022)


Schneebrettabgang Seblasspitze in den Nördlichen Stubaier Alpen vom 13.02.2022. Es kam niemand zu Schaden (Foto: 14.02.2022)
Schneebrettabgang Seblasspitze in den Nördlichen Stubaier Alpen vom 13.02.2022. Es kam niemand zu Schaden (Foto: 14.02.2022)

Es gibt auch Gutes zu berichten...

Günstiger ist die Lawinensituation allgemein in Osttirol. Das Altschneeproblem ist dort weniger ausgeprägt. Am ehesten sollte man dort im Nordsektor im sehr steilen Gelände an Übergängen von wenig zu viel Schnee bzw. im kammnahen Gelände in allen Expositionen in großen Höhen aufzupassen.

Günstiger ist es auch im - während des gesamten Winters - ständig verspurten Variantengelände. 

Und südseitig findet man zumindest in mittleren Höhenlagen eine durchwegs stabile Schneedecke mit kürzlichem Firngenuss. 


Firn bei der Abfahrt im Glocknergebiet (Foto: 14.02.2022)
Firn bei der Abfahrt im Glocknergebiet (Foto: 14.02.2022)


Turbulent gehts weiter...

Das Wetter stellt sich um. Es wird sehr wechselhaft: Kalt, warm, Regen, Sturm. Alles ist dabei...Mehr dazu spätestens am kommenden Donnerstag, 17.02.2022