Sonntag, 6. Februar 2022

Unfallanalysen der tödlichen Lawinenunfälle Fließer Berg (04.02.2022) / Breiteggspitze (04.02.2022) / Gammerspitze (05.02.2022)

Innerhalb von zwei Tagen kamen bei drei Lawinenunfällen 8 Personen ums Leben. Es handelte sich dabei um einen Lawinenunfall beim Fließer Berg in der Samnaungruppe (5 Tote), um einen Lawinenunfall bei der Breiteggspitze in den Westlichen Kitzbüheler Alpen (2 Tote) und um einen Lawinenunfall bei der Gammerspitze im Schmirntal in den Nördlichen Zillertaler Alpen (1 Toter). Wir konnten heute gemeinsam mit Unterstützung der Alpinpolizei alle drei Lawinenunfälle analysieren. Vorweg: Allen Lawinenunfällen liegt ein Altschneeproblem mit persistenten Schwachschichten im Nahbereich der bis zum 30.01. vorhandenen Altschneeoberfläche zugrunde.


Lawinenunfall Fließer Berg am 04.02.2022 (5 Todesopfer)

Eine Gruppe von 6 Personen befand sich in der Abfahrt in mäßig steilem, kupierten Gelände innerhalb einer Mulde östlich des Fließer Bergs. Dabei hielten sie einen großzügigen Abstand ein. Im Bereich einer Verflachung bemerkte der vorausfahrende Wintersportler, dass sich orographisch rechts eine große Schneebrettlawine löste. Die Beteiligten versuchten durch Schussflucht der Lawine zu entkommen, was niemanden gelang. Alle Personen wurden total verschüttet. Einer Person gelang es, ihren Kopf und eine Hand frei zu bewegen und in Folge die Rettungskette via Handy in Gang zu bringen. Diese Person war die einzige, die den Lawinenabgang überlebte.


Große Schneebrettlawine unterhalb des Fließer Bergs. Die Pfeile symbolisieren die Abfahrtsrichtung. Die roten Kreise zeigen die ungefähren Verschüttungsstellen der getöteten Personen, der blaue Kreis jene der überlebenden Person. (Foto: 05.02.2022)
Große Schneebrettlawine unterhalb des Fließer Bergs. Die Pfeile symbolisieren die Abfahrtsrichtung. Die roten Kreise zeigen die ungefähren Verschüttungsstellen der getöteten Personen, der blaue Kreis jene der überlebenden Person. (Foto: 05.02.2022)


In den eingekreisten Bereichen erkennt man die Abfahrtsspuren. In etwa am Fotostandort dürfte die oberhalb abgehende Lawine bemerkt worden sein (Foto: 05.02.2022)
In den eingekreisten Bereichen erkennt man die Abfahrtsspuren. In etwa am Fotostandort dürfte die oberhalb der Gruppe abgehende Lawine bemerkt worden sein (Foto: 05.02.2022)


Der mächtige Lawinenkegel. Der Pfeil zeigt auf eine Verflachung, die in etwa dem Fotostandort des oberen Bildes entspricht. (Foto: 05.02.2022)
Der mächtige Lawinenkegel. Der Pfeil zeigt auf eine Verflachung, die in etwa dem Fotostandort des oberen Bildes entspricht. (Foto: 05.02.2022)



Blick vom Lawinenkegel in Richtung Fließer Alpe (Foto: 05.02.2022)
Blick vom Lawinenkegel in Richtung Fließer Alpe (Foto: 05.02.2022)


Wir haben an zwei Stellen Schneeprofile gegraben und Stabilitätsuntersuchungen durchgeführt. Die Schwachschicht bestand jeweils aus kantigen Kristallen, welche zwischen dünnen Krusten eingebettet waren. Dieser "Krusten-Sandwich" erklärt auch die so großflächige Bruchfortpflanzung. Es kann davon ausgegangen werden, dass das Schneebrett zuerst in jener Geländekammer abgegangen ist, welches sich oberhalb der bereits erwähnten Verflachung befindet. Dann erfolgte die Bruchausbreitung jeweils seitlich versetzt.


Schneeprofil orographisch links der untersten Lawinenablagerung in 10° geneigtem Gelände auf 2080m, Ost. Gut zu erkennen die Schwachschicht aus kantigen Kristallen, die zwischen zwei Schmelzkrusten eingebettet ist. Darüber lagert der Schnee, der seit 31.01. gefallen ist. Hohe Störanfälligkeit!
Schneeprofil orographisch links der untersten Lawinenablagerung in 10° geneigtem Gelände auf 2080m, Ost. Gut zu erkennen die Schwachschicht aus kantigen Kristallen, die zwischen zwei Schmelzkrusten eingebettet ist. Darüber lagert der Schnee, der seit 31.01. gefallen ist. Hohe Störanfälligkeit!



Ähnliches Profil im Nahbereich der Verflachung in 24° geneigtem Gelände auf 2230m, Ost. Selbe Schwachschicht. Vergleichsweise geringere Störanfälligkeit als bei dem Profil in flacherem Gelände.
Ähnliches Profil im Nahbereich der Verflachung in 24° geneigtem Gelände auf 2230m, Ost. Selbe Schwachschicht. Vergleichsweise geringere Störanfälligkeit als bei dem Profil in flacherem Gelände. 


Schneeprofilstandort 2080m. Der Pfeil zeigt auf die Schwachschicht. Farbunterschied zwischen Neuschneepaket (mattes weiß) und Altschnee (dünkler).
Schneeprofilstandort 2080m. Der Pfeil zeigt auf die Schwachschicht. Farbunterschied zwischen Neuschneepaket (mattes weiß) und Altschnee (dünkler).

Der Vergleich der beiden jeweils orographisch links der Lawinenablagerung aufgenommenen Profile zeigt, dass jenes Profil, welches in flacherem Gelände derselben Exposition aufgenommen wurde störanfälliger war, als jenes in steilerem Gelände. Dies erklärt sich aus der dickeren Schmelzkruste, die über der kantigen Schicht durch vermehrten Strahlungseinfluss in steilerem Gelände gebildet wurde.

Es handelt sich somit um ein diffiziles Altschneeproblem, welches stark von der Exposition, Höhenlage und Neigung abhängig ist.

 
Lawinenunfall Breiteggspitze am 04.02.2022 (2 Todesopfer)

Nachdem ein Ehepaar am 04.02.2022 den Gipfel der Breiteggspitze in den Westlichen Kitzbüheler Alpen erreicht hatte, fuhr es südlich des Gipfels in einen extrem steilen, teilweise bewaldeten, Richtung Westen ausgerichteten Hang ein. Dabei löste sich eine Schneebrettlawine, von der beide Personen total verschüttet wurden. Nach einer Vermisstenmeldung konnten die zwei Personen während einer nächtlichen Suchaktion nur mehr tot geborgen werden.


Schneebrettlawine Breiteggspitze (magenta) inkl. Einfahrtsspur (Pfeil). Bei der in blau markierten Lawine dürfte es um eine Sekundärlawine handeln. (Foto: 05.02.2022)
Schneebrettlawine Breiteggspitze (magenta) inkl. Einfahrtsspur (Pfeil). Bei der in blau markierten Lawine dürfte es sich um eine Sekundärlawine handeln. (Foto: 05.02.2022) 


Der extrem steile Unfallhang. Bild vom Lawinenanriss. Pfeil zeigt die Einfahrtsspur. (Foto: 05.02.2022)
Der extrem steile Unfallhang. Bild vom Lawinenanriss. Pfeil zeigt die Einfahrtsspur. Übergang von wenig zu viel Schnee (Foto: 05.02.2022)


Lawinenhang samt Verschüttungsstelle (Foto: 05.02.2022)
Lawinenhang samt Verschüttungsstelle (Foto: 05.02.2022)


Die am Lawinenanriss aufgenommenen Schneeprofile zeigen alle dasselbe Bild: Die Schwachschicht bestand aus kantigen Kristallen unterhalb einer dünnen Schmelzkruste. Darüber lagerte das Neuschneepaket der vergangenen Niederschlagsperiode. 


Die für den Lawinenabgang bedeutsame Schwachschicht liegt bei der in etwa horizontal ausgerichteten Schneesäge. Rechts davon erkennt man gut die Kruste. Eine weitere Kruste befindet sich darunter. (Foto: 05.02.2022)
Die für den Lawinenabgang bedeutsame Schwachschicht liegt bei der in etwa horizontal ausgerichteten Schneesäge. Rechts davon erkennt man gut die Kruste. Eine weitere Kruste befindet sich darunter. (Foto: 05.02.2022) 


Lawinenunfall Gammerspitze am 05.02.2022 (1 Todesopfer)

Eine 5-köpfige Tourengruppe befand sich im Aufstieg in Richtung Gammerspitze in den Nördlichen Zillertaler Alpen. Der Aufstieg führte durch lichtes, sehr steiles Waldgelände. Plötzlich löste sich weit oberhalb von ihnen - wohl durch Fernauslösung - eine große Schneebrettlawine. Alle Personen wurden von der Lawine mitgerissen und verschüttet. Die Bilanz: Eine Person überlebte den Lawinenabgang nicht, zwei weitere Personen wurden verletzt.


Die Lawine löste sich weit oberhalb der Gruppe im schattigen, extrem steilen Gelände. (Foto: 05.02.2022)
Die Lawine löste sich weit oberhalb der Gruppe im schattigen, extrem steilen Gelände. (Foto: 05.02.2022)

 
Beim Lawinenanriss im extrem steilen Gelände. (Foto: 05.02.2022)
Am Lawinenanriss. (Foto: 05.02.2022)


Lawinensturzbahn (Foto: 05.02.2022)
Lawinensturzbahn (Foto: 05.02.2022)



Verschüttungsstelle der getöteten Person (Foto: 05.02.2022)
Auffindeort einer verletzten Person (Foto: 05.02.2022)


Die so großflächige Bruchfortpflanzung lässt sich nur durch eine entsprechend flächig gleichmäßig vorhandene Schwachschicht samt einem ebenso gleichmäßig vorhandenen "Brett" erklären. Die Unfallregion zählt zu einer der neuschneereicheren Regionen während der vergangenen Niederschlagsperiode. Somit muss aufgrund der Kombination aus viel Neuschnee, starkem Windeinfluss und Erwärmung während der zweiten Niederschlagsstaffel von einem gut ausgebildeten Brett ausgegangen werden. Als Schwachschicht konnten auch wieder kantige Kristalle unterhalb einer Schmelzkruste identifiziert werden. Noch ausständige Schneeprofile der Unfalllawinen findet man demnächst hier: