Einige Lawinenabgänge mit Personenbeteiligung
Vom vergangenen Sonntag, dem 03.05. sind uns in Summe 4 Lawinenabgänge bekannt, bei denen Personen beteiligt waren. Eine erste Analyse zeigt, dass kürzlich gebildete, oberflächennahe Schwachschichten in Kombination mit darüber gelagertem Triebschnee die Hauptursachen dieser Lawinenabgänge waren. Vorab: Die Schwachschichten bildeten sich aufgrund des Gefahrenmusters 4 (kalt auf warm) sowie des Gefahrenmusters 9 (Graupel). Es handelte sich durchwegs um zumindest sehr steiles Gelände im Nordsektor oberhalb von 2800m. Hier eine kurze Zusammenstellung der Lawinenabgänge.
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Das oberste Fähnchen weist auf eine kürzlich abgegangene, spontane Schneebrettlawine unterhalb des Rietzer Grieskogels hin. (mehr dazu später). Die anderen Pfeile markieren die vier erwähnten Lawinenabgänge, bei denen Personen beteiligt waren: Von Norden nach Süden: Zwieselbacher Rosskogel, Westlicher Seeblaskogel, Lüsener Spitze, Östlicher Daunkogel (alle in den Stubaier Alpen) |
Lawinenabgang Zwieselbacher Rosskogel
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Rot eingekreist: Zwei frische Schneebrettlawinen. 3 gelbe Markierungen: Personen in der Abfahrt. Zwieselbacher Rosskogel, 2850m, Nord (Foto: 03.05.2020) |
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Das Profil wurde am 04.05. von unserem Beobachter Lukas Ruetz bei der oberen Schneebrettlawine aufgenommen. Die relevante Schwachschicht war Graupel samt kantiger Kristalle oberhalb einer Schmelzkruste. |
Lawinenabgang Lüsener Spitze
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Oberhalb des Anrisses erkennt man eine Einfahrtsspur, darunter die Ausfahrtsspur. Lüsener Spitze, 3100m, Nordost (Foto: 03.05.2020) |
Lawinenabgang Östlicher Daunkogel
Am 03.05. befanden sich 5 Wintersportler unterhalb der Nordrinne, die Richtung Östlichen Daunkogel hinaufführt. Während ihres Aufstieges löste sich eine Schneebrettlawine, aus der 4 Personen seitlich ausfahren konnten. Eine Person wurde teilweise verschüttet. Alle Personen blieben unverletzt. Die Lawine löste sich in einer Seehöhe von etwa 3250m in einem extrem steilen Nordhang. Die Länge der Lawine betrug ca. 700m, deren Breite 250m, die Anrissmächtigkeit meist zwischen 30 und 50cm.
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Das Bild wurde vor dem Lawinenabgang aufgenommen, als sich 5 Personen im Aufstieg Richtung Östlichem Daunkogel befanden (rote Kreise). (Foto: 03.05.2020) |
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Dieses Bild entstand kurz nach dem Lawinenabgang (Foto: 03.05.2020) |
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Flugaufnahme der Alpinpolizei vom Lawinenabgang am Östlichen Daunkogel (Foto: 03.05.2020) |
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Das Foto entstand am orographisch linken Lawinenanriss. Der rote Pfeil zeigt auf die, für den Lawinenabgang bedeutsame Schwachschicht. Es handelte sich um kantige Kristalle, die sich unterhalb einer dünnen Schmelzkruste gebildet hatten. (Foto: 04.05.2020) |
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Detailansicht des Schneeprofils. Der rote Pfeil zeigt auf die Schwachschicht. Der Lawinenanriss war an dieser Stelle 35cm mächtig. |
Ursachenforschung für die Lawinenabgänge
Der Grund dieser Lawinenabgänge ist durchwegs in Schwachschichten zu finden, die sich relativ kurzfristig gebildet hatten und unmittelbar mit dem wechselhaften Wettergeschehen zu tun haben.
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Daten der relativ hoch gelegenen Station am Pitztaler Gletscher helfen bei der Ursachenforschung: Wechselhaftes Aprilwetter. Ein ständiges Auf und Ab bei den Temperaturen. Immer wieder Schneefall. Kräftiger Wind v.a. ab dem 01.05. (förderte die Brett-Bildung oberhalb der Schwachschichten). Entscheidend für die Lawinenabgänge waren u.a. auch der 27.04. und 28.04., als die Schneeoberfläche feucht wurde. Danach kühlte es bei Schneefall ab. Große Temperaturgegensätze förderten die aufbauende Umwandlung (Gefahrenmuster 4: kalt auf warm) |
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Hier zum Vergleich die Station Breiter Grieskogel. Die graue Linie in der zweitobersten Grafik bildet die Schneeoberflächentemperatur ab. Anfangs nahe bei Null Grad und somit feucht, dann immer wieder Temperatursprünge bei tendenziell abnehmender Lufttemperatur samt Überlagerung durch Neuschnee. |
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Eine der kürzlichen Niederschlagsereignisse in Tirol |
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Bezeichnend: Ein Mix aus Sonne, Wolken und Niederschlag |
Die Niederschläge waren häufig konvektiv, also gewitterartig mit kräftigen, vertikalen Luftströmungen. Unter solchen Voraussetzungen bildet sich gerne Graupel (bzw. im Sommer Hagel) aus. Wenn Graupel mächtiger abgelagert wird, kann dieser - sobald überschneit - eine Schwachschicht bilden.
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Graupel an der Schneeoberfläche im Defereggental (Foto: 03.05.2020) |
Es folgt ein Bildervergleich von der Nordseite des Rietzer Grieskogels, aufgenommen vom Inntal, der auch aufzeigt, dass die Schwachschichten der kürzlichen Schneebrettlawinen noch eher jung sind:
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Foto vom 23.04. als bei trockener Luft keine einzige Schneebrettlawine, sondern nur Lockerschneelawinen zu beobachten waren, so auch dort, wo sich die rote Umrahmung befindet. |
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Foto vom 03.05.: Im Bereich der beim oberen Foto gezeigten Umrahmung ist unterhalb einer Wechte ein oberflächennahes Schneebrett abgegangen. |
FAZIT
Oberflächennahe Schwachschichten können derzeit v.a. oberhalb von etwa 2800m im zumindest sehr steilen Nordsektor mitunter von Wintersportlern gestört werden. In den anderen Sektoren gehen wir davon aus, dass vermehrter Strahlungseinfluss mögliche Schwachschichten bereits zerstört haben dürfte und diese Schwachschichten - wenn überhaupt - am ehesten noch im hochalpinen Gelände nahe dem 3500m-Bereich bedeutsam sein könnten. Gesicherte Infos aus dem Gelände fehlen uns dazu allerdings. Die weitere Entwicklung der Schwachschichten hängt wiederum unmittelbar vom Wettergeschehen ab. Bei massiverem Wärmeeintrag kann von einer raschen Zerstörung der Schwachschichten ausgegangen werden, umgekehrt, können zumindest kantige Kristalle noch über einen längeren Zeitraum beachtenswert sein.
Sonst noch:
Nach den aktuellen Neuschneefällen vom 05.05. werden morgen am 06.05. wieder zahlreiche Lockerschneelawinen zu beobachten sein.
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Lockerschneelawinen aus extrem steilem Gelände (Foto: 03.05.2020) |
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Vorsicht vor Wechten (Foto: 03.05.2020) |
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Murmeltiere erwachen vom Winterschlaf (Foto: 03.05.2020) |
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Die Ausaperung schreitet voran (Foto: 03.05.2020) |
Eine nächste Aktualisierung dieses Blogs erfolgt erst wieder bei einer gravierenden Änderung der Schnee- und Lawinensituation in Tirols Bergen.