Schneedeckenuntersuchungen im hochalpinen Gelände
Seit dem letzten Blogeintrag gruben wir im hochalpinen Gelände - u.a. mit Unterstützung des Landeshubschraubers - über Tirol verteilt fleißig Schneeprofile. Dazu gehören immer auch Stabilitätsuntersuchungen, um zu sehen, wie gut einzelne Schneeschichten untereinander verbunden sind.
Stabilitätsuntersuchung am Großvenediger (Foto: 19.10.2020) |
Mit dem Landeshubschrauber konnten wir an einem Tag sowohl die Analyse des Lawinenabgangs am Großvenediger (vom 10.10.2020) als auch jene am Zuckerhütl (vom 18.10.2020) durchführen (Foto: 19.10.2020) |
Das Wichtigste voran: Hochalpin weiterhin Altschneeproblem, v.a. im Sektor Nord beachten
Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass wir hochalpin, also oberhalb etwa 3000m, in der Schneedecke mitunter dünne persistente (über längere Zeit bestehende) Schwachschichten vorgefunden haben. Bei den Tests stellten wir gute Bruchfortpflanzungen bei großen Belastungen fest. Vorsicht ist v.a. in den Hangausrichtungen Nordwest über Nord bis Nordost angebracht. Über 3500m kann dieser Expositionsbereich vereinzelt auch noch bis in den SW und SO-Sektor ausgeweitet sein.
Schneeprofil Großvenediger. Der Pfeil zeigt auf die für den Lawinenabgang bedeutsame Schwachschicht, die sich ab dem 03.10.2020 gebildet hatte. |
Ein sehr ähnliches Bild am Zuckerhütl: Dünne Schicht aus kantigen Kristallen, die zwischen zwei Schmelzkrusten eingelagert war. Darüber ein solides, durch Windeinfluss entstandenes "Brett". |
Kurzanalysen bekannt gewordener Lawinenabgänge
Lawinenunfall Großvenediger
Wie schon im letzten Blogeintrag erwähnt, ereignete sich am 10.10.2020 am Großvenediger ein tödlicher Lawinenunfall. Ein Wintersportler wurde kurz unterhalb des Gipfels des Großvenedigers von einer Schneebrettlawine erfasst und stürzte in Folge über felsiges Gelände ab. Die Lawine löste sich, als der Wintersportler einen kleinen Hang im Bereich dessen Hangfußes querte, wobei der Hangfuß eine Neigung zwischen etwa 10 und 20 Grad aufweist. Wir beobachteten dort eine gering mächtige Schneedecke.
Blick vom Gipfel des Großvenedigers zum (bereits großteils wieder überwehten) Lawinenbereich. Man erkennt u.a. den flacheren Hangfuß und das anschließende Absturzgelände. (Foto: 19.10.2020) |
Lawinenabgang Zuckerhütl
Am 18.10.2020 ging am frühen Nachmittag eine Meldung über einen Lawinenabgang am Zuckerhütl in den Stubaier Alpen ein. Es handelte sich um ein großes Schneebrett, welches sich in der Nordflanke löste, als sich eine Person im ca. 50° steilen Gelände bei der Abfahrt befand. Nach dem Abgang war nicht sicher, ob Personen verschüttet wurden - die Lawine überspülte u.a. die Aufstiegsspur auf das Zuckerhütl - weshalb eine aufwändige Suchaktion gestartet wurde. Nach Recherchen der Alpinpolizei und Suche durch die Rettungskräfte konnte ca. 2 Stunden nach dem Alarm der Einsatz abgebrochen werden. Eine Person wurde mitgerissen, war jedoch nicht verschüttet und blieb unverletzt.
An diesem Lawinenabgang erkennt man, dass die Schwachschicht großflächig durchgängig war. Die seitliche, untere Begrenzung des Lawinenanrisses (und somit die für die Lawine relevante untere Begrenzung der Schwachschicht) befindet sich auf ca. 3350m. Das ans Tageslicht beförderte Gletschereis wurde durch die herabstürzenden Schneemassen freigeschürft. Die Schwachschicht befand sich somit auch im Bereich des am Bild herausschauenden Gletschereises oberhalb eines harten Schneefundaments (sh. obiges Schneeprofil Zuckerhütl).
Lawinenabgang Tiefenbachferner
Schneebrettabgang Tiefenbachferner, 3100m, NO-seitig |
Bei diesem Lawinenabgang wurde niemand verschüttet. Die Schwachschicht befand sich laut Aussagen unseres Beobachter Peter Raich ebenso oberhalb der Regenkruste vom 03.10.2020 und bestand aus kantigen Kristallen.
Kaum spontane Schneebrettlawinen
Beim Überflug mit dem Landeshubschrauber wurde entlang des Alpenhauptkammes im hochalpinen Gelände nur eine spontane Schneebrettlawinen beobachtet, und zwar in den Zillertaler Alpen. Diese Beobachtung deckt sich mit unseren Schneedeckenuntersuchungen, dass es für die Störung der Schwachschicht meist große Belastung im extrem steilen Gelände bedarf.
Kammnahes, spontanes Schneebrett in den Zillertaler Alpen. (Foto: 19.10.2020) |
Im Nordsektor in großen Höhen vereinzelt Triebschneeproblem im schattigen Gelände
Neben dem erwähnten Altschneeproblem konnten wir auch noch ein oberflächennahes Triebschneeproblem ausfindig machen. Dies im extrem steilen schattigen, eher kammnahen Gelände, beginnend von 2800m aufwärts. Mitunter lassen sich dort noch harte, ältere Windkrusten (auf filzigen Kristallen) durch Wintersportler stören. Die letzthin steigenden Temperaturen sollten dieses Problem langsam in größere Höhen verlagern lassen.
Anriss eines harten Schneebretts auf 2870m im Bereich des Kaunertaler Gletschers (Foto: 22.10.2020) |
Hier das zu oberem Bild passende Schneeprofil. Eine sehr harte Schneeoberfläche, darunter eine sehr dünne Schicht aus filzigen Kristallen. |
Frische Triebschneeansammlungen hingegen sollten kaum zu stören sein, da die Schneeoberfläche derzeit bis in große Höhen hinauf eher feucht bzw. durch Windeinfluss stark strukturiert und somit der frische Triebschnee gut verbunden ist.
Frischer Triebschnee in hochalpinen Regionen (Foto: 18.10.2020) |
Sonst noch berichtenswert
Schnee schmilzt dahin
Die vergangenen Tage waren durch Föhneinfluss und steigende Temperaturen geprägt. Dies hatte insofern Auswirkungen auf die Schneedecke, als diese dahinschmolz und zudem bis in größere Höhen hinauf feucht wurde. Südseitig ist die Schneedecke bis über die 3000m-Grenze hinauf derzeit isotherm, also überall bei 0 Grad Celsius.
Wetterstationsdaten Pitztaler Gletscher: Seit dem letzten Blogeintrag dominierte wechselhaftes Wetter mit zunehmendem Föhneinfluss |
Die rote Linie zeigt die Schneetemperatur an: überall Null Grad auf 3000m südseitig |
Der Einfluss von Strahlung und warmen Temperaturen: Blick vom Wurmkogel in den Ötztaler Alpen Richtung Timmelsjochstraße (Foto: 20.10.2020) |
Verletzungsgefahr durch Steine
Wer derzeit außerhalb präparierter Pisten im nicht vergletscherten Gelände unterwegs ist benötigt dazu meist "Steinski", zudem sollte eine mögliche Verletzungsgefahr durch herausragende bzw. knapp unterhalb der Schneeoberfläche befindliche Steine beachtet werden.
Verletzungsgefahr durch Steinkontakt. Kaunertal (Foto: 22.10.2020) |
Saharastaub in der Luft
Blick vom Kaunertaler Gletscher Richtung Süden. Die gelbliche Färbung weist auf Saharastaub hin. (Foto: 22.10.2020) |
Überblick über Saharastaubwolken (c) ZAMG |
Den nächsten Blogeintrag gibts bei einer deutlicher Änderung der derzeitigen Schnee- und Lawinensituation.