Momentan findet man in großen Teilen der Tiroler Nordalpen traumhaften Tiefschnee. Allerdings ist in Steilhängen nach wie vor Vorsicht geboten und zwar aus mehreren Gründen:
- Hochalpin lagert der Triebschnee der letzten Sturmperiode auf einem schwachen Schwimmschneefundament und kann daher relativ leicht gestört werden (Gefahrenmuster "der zweite Schneefall").
- In mittleren Lagen (bis ca. 2100 m) hat sich zwischen dem kalten, windverfrachteten Neuschnee aus der Kaltfront vom 17.12. und dem der warmen, in tieferen Lagen durch den Regen vom 16.12. beeinflussten Schnee eine Schwachschicht gebildet. Sie besteht aus aufbauend umgewandelten Kristallen. Ist der darüberliegende Schnee gebunden - was in eingewehten Bereichen immer der Fall ist - dann kann in dieser Schwachschicht leicht ein Bruch erzeugt werden.
- Die obersten 20-30 cm sind fast ohne Windeinfluss gefallen, wodurch manche Gefahrenzeichen, die auf Triebschnee hindeuten würden, verdeckt worden sind.
- Nicht zuletzt ist auch die Gefahr durch Gleitschneelawinen aus steilen Wiesenhängen noch nicht gebannt.
Leider hat es am Sonntag, den 18.12.2011 im Gipfelhang der Engelspitze (Gemeindegebiet Namlos) einen Lawinenabgang mit Personenbeteiligung gegeben. Die letztendlich ganz verschüttete Person hat dabei das Schneebrett in einem ca. 37° steilen Nordwesthang selbst ausgelöst. Nach einer lobenswerten und den Verhältnissen entsprechend sehr schnellen Bergung wurde der Verletzte mit dem Notarzthubschrauber abtransportiert.
Der Anriss der Unglückslawine im 37° steilen Nordwesthang war ca. 50 cm mächtig. Das Bild wurde am 19.12.2011 in Blickrichtung Südwesten aufgenommen. Die Latschen deuten den Rücken, über den der Südföhn den Hang eingeweht hat, an.
Unsere Geländeuntersuchungen zeigen, dass das Schneebrett wider Erwarten nicht an einer Schichtgrenze innerhalb des Triebschnees vom Wochenende abgeglitten ist. Vielmehr hat die hohe Schneefallgrenze zu Beginn der Niederschläge am Freitag dafür gesorgt, dass die Altschneeoberfläche feucht oder zumindest bis nahe an den Gefrierpunkt aufgewärmt wurde. Danach hat es weiterhin ergiebig geschneit, allerdings kalt! Dadurch entstanden spröde Schneebretter und an der Schichtgrenze bildeten sich kantige Kristalle infolge des markanten Temperatursprunges innerhalb der Schneedecke. In Lagen unter 1800 m befindet sich unterhalb der Schwachschicht eine dünne Schmelzkruste.
Im Schneeprofil, das am Lawinenanriss aufgenommen wurde, ist die weiche Schwachschicht nicht nur an dem vorherrschenden kantigen Kristallen, sondern auch an dem Temperatursprung zu erkennen. Der Umstand, dass sich dieser auch drei Tage nach Niederschlagsbeginn noch nicht abgebaut hat, lässt darauf schließen, dass die aufbauende Umwandlung hier noch nicht abgeschlossen ist und diese Schicht noch einige Zeit problematisch sein könnte.
Auffällig ist, dass in diesem Fall nur eineinhalb Tage zwischen dem Beginn des Schneefalls und dem Lawinenabgang vergangen sind. Das Lawinengefahrenmuster "kalt auf warm" bildete sich somit sehr schnell aus. Es ist wohl davon auszugehen, dass uns diese schwache Schicht noch einige Zeit erhalten bleiben wird wenn auch räumlich begrenzt, nämlich nur in mittleren Höhenlagen im Nordwesten des Landes.
Ein Auslösetest (ECT) bestätigt, dass die erwähnte Schwachschicht leicht zu stören ist und sich ein Bruch in ihr gut fortpflanzen kann. Im Bild ist Kollaps der Schicht gut als Riss, der sich von der Schaufel nach rechts zieht, zu erkennen.