Vorab zwei gute Nachrichten: Die Saharastaubschicht hat unseren Beobachtungen zufolge keinen negativen Einfluss auf die Lawinengefahr. Die Lawinengefahr ist inzwischen deutlich zurückgegangen.
Während der vergangenen Tage wurden wir öfters gefragt, ob die Saharastaubschicht einen Einfluss auf die kürzlich beobachteten Lawinenabgänge hätte. Im Gelände beobachtete man nämlich immer wieder die nach Lawinenabgängen frei gelegte und dadurch gut sichtbare Saharastaubschicht. Besonders auffallend war dies z.B. auch bei jenem tödlichen Lawinenunfall im Wallis, bei dem die Freeride-Weltmeisterin Estelle Balet am Montag, dem 18.04. ums Leben gekommen ist.
Bild der Unfalllawine im Wallis. Gut zu erkennen ist die Saharastaubschicht, die nach dem Schneebrettabgang übrig geblieben ist. (Foto: 18.04.2016)
Zum besseren Verständnis muss kurz ausgeholt werden.
Für Schneebrettlawinen benötigt man neben einer Mindestneigung von ca. 30 Grad immer eine in der Schneedecke befindliche Schwachschicht, über der gebundener Schnee lagert. Mögliche Schwachschichten sind entweder kalter, lockerer Pulverschnee oder aufbauend umgewandelte Kristalle (kantige Kristalle, Schwimmschnee, Oberflächenreif). Eine harte Kruste ist somit keine Schwachschicht und stellt deshalb auch niemals das unmittelbare Problem für Schneebrettlawinen dar! Oft wird nämlich behauptet, Schneebrettlawinen würden dadurch entstehen, dass der Schnee auf Krusten abgleiten würde. In der Realität brechen jedoch die Kristalle innerhalb einer Schwachschicht durch Zusatzbelastung auf die Schneedecke. Solche Brüche pflanzen sich in der Schwachschicht rasant fort, was den Abgang einer Schneebrettlawine zur Folge hat. Befindet sich unterhalb solcher Schwachschichten eine harte Kruste, bleibt diese nach dem Schneebrettabgang übrig. Wenn die Kruste, wie es derzeit häufig der Fall ist, durch Saharastaub eingefärbt ist, erkennt man diese umso besser.
Bei Analyse der aktuellen Situation können prinzipiell beide oben erwähnten Schwachschichten zu den Lawinenabgängen geführt haben:
Eine vormals feuchte mit Saharastaub versehene Altschneeoberfläche wurde mit Eintreffen der ersten Kaltfront am 17.04. von kälterem Schnee überlagert, was zu Gefahrenmuster 4 (kalt auf warm) führen hätte können. Viel Neuschnee, der den Temperaturunterschied an der Grenzfläche zwischen der Saharastaubschicht und dem Neuschnee durch seine isolierende Wirkung verringerte sowie die inzwischen rasch steigenden Temperaturen haben diesen Prozess jedoch nicht gefördert. Deshalb konnten sowohl wir als auch unsere Beobachter wohl auch keine Schwachschicht aus kantigen Kristallen auf der Saharastaubschicht finden.
Was bleibt und leicht nachvollziehbar ist, war der lockere, kalte Pulverschnee, der sich auf der Saharastaubschicht ablagerte und dann von Triebschnee überlagert wurde. Kurzfristig war dieser leicht zu stören. Wie es für das Frühjahr typisch ist, kam es zu einer sehr raschen Besserung der Situation.
Schneeprofil im Kaunertal auf knapp 3000m in einem 35 Grad steilen SO-Hang. Beim oberen Handschuh erkennt man die eingefärbte Saharastaubschicht. Der Neuschnee hat sich inzwischen deutlich gesetzt. Wir konnten keinen Bruch oberhalb der Saharastaubschicht erzeugen. Beim unteren Handschuh erkennt man eine 2cm dicke Eislamelle, die von früherem, massiven Wassereintrag in die Schneedecke zeugt. (Foto: 21.04.2016)
Wir befinden uns auf etwas über 3000m in Kammnähe in einem N-Hang im hinteren Kaunertal. Links neben dem Skistock erkennt man die freigelegte Saharastaubschicht. Der unmittelbar darüber befindliche Schnee war sehr gut mit der Saharastaubschicht verbunden. An der Schneeoberfläche war der Wind etwas im Spiel: Eine durch Wind gebundene, ca. 5cm mächtige Schicht lagert dort auf noch lockerem, filzigen Schnee und könnte bei größerer Ausdehnung und Mächtigkeit gestört werden. (Foto: 21.04.2016)
Hier weitere Eindrücke zur derzeitigen Situation:
Der Strahlungseinfluss vom 19.04. und das warme Schönwetter vom 20.04. führten zu einer sehr raschen Setzung und Stabilisierung der Schneedecke. Nach einer klaren Nacht war die Schneeoberfläche auf etwa 2600m im besonnten Gelände tragfähig. Nahbereich des Glockturms in den Südlichen Ötztaler Alpen (Foto: 21.04.2016)
Bei rechtzeitiger Abfahrt Firn: Nördliche Stubaier Alpen (Foto: 20.04.2016)
In großen Höhen findet man schattseitig teilweise noch guten Pulverschnee (Foto: 21.04.2016)
Ein interessanter Lawinenabgang wurde uns vom Hoadl in den Nördlichen Stubaier Alpen gemeldet. Ein Schneebrett löste sich offensichtlich auf der bekannten, bodennahen Schwachschicht vom Frühwinter auf knapp über 2300m (Foto: 20.04.2016)
Die für die nächsten Tage vorhergesagte Wetterumstellung wird kalte Temperaturen und Neuschnee bringen. Es wiederholt sich das Spiel: In größeren Höhen muss man auf frischen Triebschnee achten. Auf bereits ausgeaperten steilen Wiesenflächen werden dort, wo es mehr schneit, vermehrt Gleitschneerutsche zu beobachten sein. Nach den Schneefällen werden aufgrund von Strahlungseinfluss und dann wohl wieder steigenden Temperaturen vermehrt spontane Lawinen (u.a. zahlreiche Lockerschneelawinen aus felsdurchsetztem Gelände) abgehen.
Schnee (den man zu Winterbeginn dringender benötigt hätte…) ist vorhergesagt.