Donnerstag, 1. März 2018

Außergewöhnlich kalte Tage gehen zu Ende – frischen Triebschnee beachten!

Polare Kaltluft hatte uns während der letzten Tage fest im Griff. Auf knapp 3300m am Breiten Grießkogel in den Nördlichen Stubaier Alpen wurde in der Nacht vom 26.02. auf den 27.02. mit -31,9 Grad eine der niedrigsten Temperaturen in Tirol gemessen. Am Brunnenkogel in den Südlichen Ötztaler Alpen waren es -32,4 Grad. Aus Aufzeichnungen der ZAMG-Wetterdienststelle geht hervor, dass tiefere Temperaturen im Jahr 1987 erreicht wurden.

Ein nicht alltägliches Bild bei der Wetterstation Breiter Grießkogel in den Nördlichen Stubaier Alpen:  Außergewöhnlicher Temperaturrückgang (blauer Pfeil, rote Linie). Extrem niedriger Taupunkt von -45 Grad während der Abendstunden des 25.02. (violette Linie) - ein Indiz für extrem trockene Luft. Nun steigt die Temperatur - anfangs auch in Abhängigkeit der Windrichtung (magenta Pfeil) - wieder an. Tendenz steigend (roter Pfeil).

Überall im Land war es extrem kalt!

Das Bild aus der Silvretta lässt die tiefen Temperaturen nur erahnen. (Foto: 26.02.2018)

Im Gelände musste man gut eingepackt sein (Foto: 27.02.2018)

Die kalten Temperaturen förderten in oberflächennahen Schichten die aufbauende Umwandlung der Schneedecke. Das heißt: Man findet dort derzeit häufig lockere kantige bzw. auch filzige Kristalle bzw. Oberflächenreif. Dies entweder an der Schneeoberfläche bzw. knapp darunter, dann meist unter Wind- bzw. Schmelzkrusten.

Oberflächenreif in den Tuxer Alpen (Foto: 24.02.2018)

Eingeschneiter Oberflächenreif in den Tuxer Alpen (Foto: 28.02.2018)

Diese Kristalle bilden eine ideale Schwachschicht für darüber gelagerten Triebschnee.

Nur wenige Zentimeter beträgt die Anrissmächtigkeit dieser Mini-Lawine – ein Indiz für die sehr hohe Störanfälligkeit der Schwachschicht. (Foto: 26.02.2018)

Rissbildung bei einem frischen Triebschneepaket in Osttirol (Foto: 26.02.2018)

Die Lawinengefahr wurde und wird ganz wesentlich vom Windeinfluss bestimmt. Der Wind wehte während der vergangenen Zeit sehr unterschiedlich – von windstill bis Wind deutlich über Verfrachtungsstärke konnte alles beobachtet werden. Meist waren die Triebschneepakete nur kleinräumig und geringmächtig. Großräumig gesehen fand man deshalb überwiegend recht gute Verhältnisse vor.

Unterwegs in den Osttiroler Tauern (Foto: 28.02.2018)

Dort, wo allerdings der Wind im Spiel war, beobachtete man immer wieder Lawinenabgänge.

Ein spontanes Schneebrett in der Silvretta aufgrund kürzlich verfrachteten Schnees (Foto: 27.02.2018)

Während der vergangenen Tage wurden wenige Auslösungen von Schneebrettlawinen durch Wintersportler gemeldet. Unserem Informationsstand zufolge gingen alle Ereignisse gut aus.

Lawinenabgang mit Personenbeteiligung unterhalb der Scheibenspitze in den Tuxer Alpen am 24.02.2018. Frischer Triebschnee bildete das Problem.

Das im vorigen Blogeintrag erwähnte Altschneeproblem insbesondere im Sektor Süd hat sich inzwischen in größere Höhen verlagert und dürfte nur mehr vereinzelt oberhalb etwa 2600m ein Thema sein. Dies hat wohl auch mit den sehr kalten Temperaturen zu tun. Das über der oberflächennahen, kantigen Schwachschicht lagernde Brett dürfte zunehmend aufbauend umgewandelt worden sein. Eine Bruchfortpflanzung wird dadurch unwahrscheinlicher.

Lawinenabgang mit Personenbeteiligung am 24.02.2018 unterhalb des Festkogels in den Südlichen Ötztaler Alpen. Oberflächennahes Altschneeproblem: Südwest, 2800m (Foto: 27.02.2018)

Spontanes Schneebrett in den Osttiroler Tauern; Oberflächennahes Altschneeproblem: Süd, 2700m (Foto: 26.02.2018)

Einen absoluten Ausreißer bildete ein spontaner Schneebrettabgang zwischen dem 22.02. und 23.02. unterhalb des Jochgrubenkopfes im Grenzbereich der Tuxer zu den  Zillertaler Alpen. Das Schneebrett erlangte beachtliche (und für uns unerwartete) Größe und brach schattseitig in einer kantigen Schwachschicht, welche sich im Bereich einer Regenkruste vom 04.01.2018 gebildet hatte. (Wir wussten über diese Schwachschicht in einem Höhenband zwischen etwa 1800m und 2300m Bescheid. Diese bildete sich aufgrund des Gefahrenmusters kalt auf warm aus und wurde ab dem 16.01. gemeinsam mit eingeschneitem Oberflächenreif aktiv. Nach der extrem neuschneereichen Wetterphase bis zum 22.01. deutete allerdings Vieles auf eine relativ rasche Entspannung dieses Problems hin. (Auch wurden uns danach keine derartigen Lawinenabgänge bekannt.)

Schneebrettlawine unterhalb des Jochgrubenkopfes (Foto: 24.02.2018)

Schneebrettlawine Jochgrubenkopf (Foto: 28.02.2018)

Wir erklären uns den Lawinenabgang durch eine Verkettung mehrerer Einflussfaktoren:

Wind aus dem Sektor NO führte zwischen dem 21.02. und dem 23.02. zu Schneeverfrachtungen. Im obersten Anrissbereich könnte der dadurch abgelagerte Triebschnee primär als kleines, spontanes Brett in einer oberflächennahen Schwachschicht (Wildschnee, Oberflächenreif) abgegangen sein. In Folge könnte diese Belastung zu einem Bruch in der kantigen Schicht unterhalb der Regenkruste vom 04.01. geführt haben. Mutmaßend gehen wir davon aus, dass die aufbauende Umwandlung unterhalb dieser Kruste an einer vermutlich schneearmen Stelle besonders weit vorangeschritten war (ev. kleines Schwimmschneenest unterhalb der Regenkruste), sodass ein Bruch innerhalb dieser Schwachschicht überhaupt erst möglich wurde. Erst dann war die Belastung auf die angrenzende kantige Schicht groß genug, sodass auch diese brechen konnte. Maßgebend für die Bruchfortpflanzung war wiederum die Schmelzkruste oberhalb dieser Schwachschicht.
Unwahrscheinlicher, jedoch prinzipiell auch denkbar ist ein unmittelbarer Bruch im Bereich eines solchen Schwimmschneenestes durch die Belastung des Triebschnees. Noch unwahrscheinlicher, aber ebenso nicht auszuschließen ist die Auslösung allein durch die fortschreitende Umwandlung der Schwachschicht wohl im Bereich einer schneearmen Stelle mit bereits sehr ausgeprägtem Schwimmschneenest.

Wetterstationsgrafik der relativ nahe gelegenen Station Rastkogel zeigt den Windeinfluss als mögliche Mitursache des Lawinenabgangs

Wir führten vor Ort Stabilitätsuntersuchungen durch. Brüche konnten an den von uns ausgewählten Stellen nur durch sehr große Belastung erzeugt werden. Eine Bruchfortpflanzung war dort jeweils nicht möglich.

Schneeprofil im Bereich des Lawinenanrisses auf 2195m; NO vom 28.02.2018. Die kantige Schicht unterhalb der Schmelzkruste war ausschlaggebend für den Lawinenabgang. Am Profilort konnte nur ein Teilbruch durch große Belastung erzeugt werden.

Wir gehen weiterhin davon aus, dass es sich bei diesem Lawinenabgang um einen absoluten Ausnahmefall handelte. Im Hinterkopf behalten kann man sich dennoch: In einem schmalen Höhenband zwischen etwa 1900m und maximal 2300m ist so etwas (Nachtrag vom 01.03. 20:20 Uhr: …im schattigen Gelände…) prinzipiell nicht auszuschließen.

Nun, am 01.03. stellt sich die Wetterlage um. Mit Südföhn dringen nicht nur wärmere Luftmassen nach Tirol, auch der Wind legt in der Höhe zu.

Das Gebot der Stunde lautet somit, die Sinne für frische Triebschneepakete zu schärfen und diesen möglichst auszuweichen.


Weitere Eindrücke der vergangenen Tage:

Zum Teil hartnäckiger Nebel am 24.02.. Nördliche Stubaier Alpen

Im Bereich des Nebels bildete sich Anraum, zum Teil wurde die Schneeoberfläche am 24.02. auch  angefeuchtet (Foto: 27.02.)

Oberhalb des Nebels wirkten Sonneneinstrahlung und warme Temperaturen. Die Schneeoberfläche wurde in besonnten Hängen feucht. Nachträglich bildete sich dort ein Harschdeckel, darunter beobachtete man während der Kältephase aufbauende Umwandlung. Nördliche Stubaier Alpen (Foto: 25.02.2018)


Die Schneedecke gleitet auf Dächern… Sulzalpe (Foto: 24.02.2018)

Die Schneedecke gleitet weiterhin trotz der kalten Temperaturen auf steilen Wiesenhängen. Am Weg zur Namloser Wetterspitze im Außerfern (Foto: 25.02.2018)