Montag, 22. Februar 2021

Vorsicht: Gleitschneelawinen können zu jeder Tages- und Nachtzeit abgehen - auch Wanderwege und Forststraßen können gefährdet sein!

Die Schneedecke verliert mit Wassereintrag an Festigkeit


Mit den überdurchschnittlich warmen Temperaturen und der Sonneneinstrahlung stellen wir aktuell eine fortschreitende Durchfeuchtung bzw. Durchnässung der Schneedecke fest. Dies trifft besonders für Sonnenhänge unterhalb etwa 2600m sowie für Schattenhänge unterhalb etwa 1800m zu.


Bezeichnend für die aktuelle Situation: Steter Temperaturanstieg während der vergangenen Tage. Schnee-Oberflächentemperatur unterliegt einem Tagesgang und erreicht ab dem späten Vormittag 0 Grad. Intensiver Strahlungseintrag. 


Das in die Schneedecke eindringende Wasser erreicht dort zunehmend auch den Boden. Die Schneedecke ist dann isotherm, man misst somit vom Boden bis zur Schneeoberfläche überall 0°C.

Schneeprofil Jöchlspitze im Außerfern: Isotherme Schneedecke auf knapp 1700m im 6° steilen südexponierten Gelände


Je tiefer die Höhenlage bzw. auch je steiler und je sonnenexponierter ein Hang, desto massiver ist dieser Durchfeuchtungsprozess. In höheren Lagen schaut es entsprechend noch besser aus.


Gestern am 21.02. war die Schneedecke im Karwendel in einem 38° steilen, Südhang auf 2680m nur oberflächig nass. Dort gibt es noch Temperaturreserven und dauert somit noch bis zu einer massiveren Destabilisierung der Schneedecke. 


Gleitschneelawinen können jederzeit abgehen - Gefährdung exponierter Verkehrswege, Wanderwege oder Forststraßen


Mehr Wasser an der Grenzfläche zwischen Boden und Schneedecke bedeutet auf glattem Untergrund eine geringere Reibung und dadurch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit des Abgleitens der gesamten Schneedecke. Deshalb beobachten wir konkret seit vorgestern, 20.02. nachmittags, vermehrt Gleitschneelawinen im gesamten Land. Gemein an dieser Lawinenart ist der Umstand, dass auch während klarer Nächte, wenn die Schneeoberfläche tragfähig gefriert, der Gleitprozess am Boden weiter fortschreitet. Gleitschneelawinen können deshalb auch mitten in der Nacht abgehen! In den schneereichen Regionen, wie z.B. in Osttirol sind diese Lawinen zum Teil auch groß und gefährden dadurch nicht nur exponierte Verkehrswege, sondern beispielsweise auch Wanderwege oder Forststraßen!


Gleitschneelawine im Nahbereich einer Aufstiegsspur. Defereggental (Foto: 21.02.2021)


Gefährdung von Zustiegen bzw. Abfahrten im Südlichen Osttirol durch - vom Tal nicht einsehbaren Gleitschnee-Lawinen-Einzugsgebieten. Sehr heimtückisch! (Foto: 21.02.2021)



Frische Gleitschneelawine aufgrund vermehrten Wassereintrags in die Schneedecke im Schmirntal in den Westlichen Tuxer Alpen. (Foto: 22.02.2021)



Durchnässung fördert auch den Abgang von Schneebrettlawinen - tageszeitlichen Gang beachten


Befinden sich innerhalb der Schneedecke Schwachschichten aus aufbauend umgewandelten Kristallen, so kann Wassereintrag zu deren Schwächung führen. Als Folge können sich dort Schneebrettlawinen lösen. Aktuell betrifft dies Steilhänge im Sektor O über S bis W unterhalb etwa 2400m. Wenn das Einzugsgebiet groß genug ist, sind auch dort mitunter gefährlich große Schneebrettlawinen vorstellbar. Im Gegensatz zu Gleitschneelawinen unterliegen Schneebrettlawinen aber eindeutig einem tageszeitlichen Gang - von frühmorgens nach klaren Nächten meist günstigen Verhältnissen steigt deren Auslösewahrscheinlichkeit während des Tages stetig an.  


Schneebrettlawinen Rotgabele (Schobergruppe). Aus den Bildern kann auch abgeleitet werden - und das passt zur aktuellen Situation in Osttirol - dass die Schneedecke in tieferen Schichten stabil ist (kein Durchbrechen aufgrund der großen Zusatzbelastung der abgehenden Lawinen in tiefere Schichten) -  (Foto: 21.02.2021)



Ablagerungsgebiet der Lawine Rotgabele - Gefährdungspotential! (Foto: 21.02.2021)



Eine ähnliche Situation bei der Wolgemuthalm (Gschlöss). Lawinenablagerung auf Zustiegsweg. (Foto: 22.02.2021)


Nasse Lockerschneelawinen

Während der vergangenen Tage konnte man zudem auch vermehrt nasse Lockerschneelawinen aus besonntem, extrem steilen Gelände beobachten. Unterhalb des Brandjochs auf der Nordkette wurde beispielsweise ein Wintersportler von einer Lockerschneelawine erfasst, mitgerissen und verletzt. Die Gefahr nasser, spontaner Lockerschneelawinen nimmt inzwischen eher wieder ab. Eine künstliche Auslösung durch Wintersportlern ist bei entsprechend nasser Schneeoberfläche aber weiterhin vorstellbar.



Bei den eingezeichneten Pfeilen erkennt man Lockerschneerutsche. Diese lösten sich spontan. Eine Person wurde mitgerissen. Brandjoch, SO, extrem steil (Foto: 20.02.2021)


Nur mehr vereinzelte Gefahrenstellen für trockene Schneebrettlawinen


Wie schon im vergangenen Blogeintrag erwähnt, gibt es für trockene Schneebrettlawinen nur mehr vereinzelte Gefahrenstellen. Am ehesten lassen sich diese noch im extrem steilen, schattigen Gelände, dann besonders an schneearmen Stellen bzw. an Übergängen von wenig zu viel Schnee auslösen. Bezeichnend für diese Situation ist u.a. ein Lawinenabgang im Wildlahnertal im Nahbereich der Hohen Warte in den Westlichen Tuxer Alpen, bei dem ein abfahrender Wintersportler von einer Schneebrettlawine erfasst, mitgerissen und unverletzt teilverschüttet wurde. 



Lawinenauslösung im felsdurchsetzten, extremen Steilgelände. Hohe Warte (Foto: 21.02.2021)


Zusammenfassend: 

Abgesehen vom Gleitschneeproblem herrschen in den Morgen- und frühen Vormittagsstunden nach klaren Nächten verbreitet günstige Verhältnisse. Während des Tages steigt die Gefahr von Nass- und Gleitschneelawinen an. Vorsicht: Lawinen können bis in Talbereiche vorstoßen!