Während des Frühjahrs kann sich die Lawinensituation innerhalb sehr kurzer Zeit wesentlich - sowohl zum Guten als auch zum Schlechten - ändern. Im Folgenden eine Analyse der vergangenen Woche…
Verantwortlich für die rasche Änderung der Lawinengefahr sind neben dem Schneedeckenaufbau v.a. die meteorologischen Parameter der (diffusen) Strahlung, der Lufttemperatur und der absoluten Luftfeuchtigkeit. Je höher diese Parameter sind, desto rascher wird die Schneedecke feucht und desto rascher steigt die Lawinengefahr an. Ein weiteres, wichtiges Kriterium stellt aber auch der Wind dar. Wind fördert die Verdunstung und entzieht dadurch der Schneedecke Wärme. Die Durchfeuchtung wird somit an windexponierten Stellen verlangsamt bzw. gar unterbunden.
Während der vergangenen Woche hatten wir meist sehr trockene Luftmassen, allerdings bereits sehr intensive Strahlung und meist hohe Lufttemperaturen. Die Durchfeuchtung spielte deshalb anfangs nur in besonnten Hängen eine wesentliche Rolle. Als am 15.03. in den frühen Morgenstunden Wolken über weite Teile Tirols zogen, hing der Tagesgang der Lawinengefahr wesentlich von der zu erwartenden diffusen Strahlung ab. Es stellte sich die Frage, wo in Tirol die Sonne, wie lange durch das hereinziehende, immer tiefer werdende Wolkenband herausblinzeln und dadurch zu erhöhter langwelliger Gegenstrahlung (und somit rascherer Durchfeuchtung) führen würde oder aber, ob sich die Abschattung der Sonne bei sinkenden Lufttemperaturen eher günstig auswirken würde; eine nicht ganz leichte Entscheidung bei der Erstellung des Lawinenlageberichtes in der Früh…
Typisch für das Frühjahr: tageszeitlicher Anstieg der Lawinengefahr. Am 15.03. rechtfertigten die Abschattung der Sonne sowie die sinkenden Temperaturen am Nachmittag wohl nur unterhalb etwa 2000m (und nicht wie angenommen unterhalb 2700m) die Stufe 3
Am 16.03. war die Nacht in Nordtirol wolkenverhangen. Nach einer kurzen Kaltfront folgte eine Warmfront mit etwas Regen bis maximal 2200m und steigenden Temperaturen. Bereits am Morgen war die Schneedecke zumindest unterhalb etwa 2000m feucht bzw. nass (deshalb erhebliche Gefahr in den Regionen 1,4,5,6,8,9 unterhalb etwa 2200m; darüber mäßige Gefahr wegen kleinräumiger, frischer Triebschneepakete im Nordsektor durch den starken Wind). Nur in Osttirol konnte sich während einer klaren Nacht wieder in besonnten Hängen ein tragfähiger Harschdeckel ausbilden (mäßige Gefahr war trotz der meist stabilen Schneedecke in tiefen und mittleren Höhenlagen wegen der ständigen Bedrohung durch Gleitschneelawinen gerechtfertigt; in größeren Höhen wurde mäßige Gefahr wegen kleinräumiger, frischer Triebschneepakete im Nordsektor ausgegeben). In den Nordalpen und Kitzbüheler Alpen gab es wiederum ein für das Frühjahr atypisches Bild mit geringer Gefahr unterhalb etwa 1600m, und zwar wegen des meist fehlenden Schnees, darüber spielte die Durchfeuchtung die wesentliche Rolle, deshalb Stufe 3).
Gefahrenstufenkarte vom 16.03.2014. Für die Ausgabe einer Gefahrenstufe spielen viele Kriterien eine Rolle (Schneedeckenstabilität; Auslösewahrscheinlichkeit; regionale Verteilung der Gefahrenstellen; Anzahl, Größe und Art der zu erwartenden Lawinen)
Und plötzlich nach einer sternenklaren Nacht und wiederum sehr trockener Luftmasse gab es am 17.03. wiederum eine völlig neue Ausgangssituation mit überwiegend geringer Lawinengefahr am Morgen samt tageszeitlichem Anstieg der Lawinengefahr.
Gefahrenstufenkarte vom 17.03.2014: Nach einer klaren Nacht mit geringer Luftfeuchtigkeit wiederum klassische Frühjahrssituation mit günstigen Verhältnissen am Morgen samt tageszeitlichem Anstieg der Gefahr.
Anhand unserer Wetterstationsgrafiken lässt sich all das sehr gut nachvollziehen.
Langsam abnehmende Schneehöhe; anfangs deutlicher Tagesgang der Lufttemperatur und der Schneeoberflächentemperatur bei sehr geringer Luftfeuchtigkeit; intensive Strahlung; ab dem 15.03. starker, drehender Wind mit zunehmender Luftfeuchtigkeit, abnehmender Lufttemperatur und zunehmend feuchter Schneedecke. In der Nacht vom 16.03. auf den 17.03. wiederum geringe Luftfeuchtigkeit mit sehr guter Ausstrahlung und somit tragfähigem Harschdeckel dort, wo die Schneedecke am Vortag nass bzw. feucht war.
Entscheidend ist derzeit also die zunehmende Durchfeuchtung bzw. Durchnässung der Schneedecke. Dies führte bereits zu zahlreichen Lawinenabgängen. Es handelte sich sowohl um Gleitschnee-, Schneebrett-, als auch Lockerschneelawinen. Entscheidend ist aber auch die Gesamtschneehöhe. Durch die überdurchschnittlichen Schneehöhen in Osttirol beobachtet man dort nun auch vermehrt große Lawinen.
Unverändert ein deutliches Süd-Nordgefälle der Gesamtschneehöhe in Tirol
Fotos von Gleitschneelawinen der vergangenen Tage:
Die Schneedecke ist auf steilen Wiesenhängen in Bewegung: Risse, Mäuler und abgegangene Gleitschneelawinen vermehrt in den schneereichen südlichen Regionen; Königswand, Osttirol (Foto: 12.03.2014)
Gleitschneemäuler stellen eine ständige Bedrohung dar, wie hier am Weg zum Habicht in den südlichen Stubaier Alpen (Foto: 12.03.2014)
Große Lawinenkegel durch abgegangene Lawinen (Defereggental am 16.03.2014)
Ein Gleitschneerutsch (oberster, mittiger Teil des Lawinenanrisses) löste am 14.03. gegen 15:30 Uhr diese große Schneebrettlawine am Weitstrahl im Defereggental - Zentralosttirol aus. (Foto: 14.03.2014) Vergleiche dazu einen ähnlichen Lawinenabgang in Hochfügen am 04.03.2012. Damals löste sich in Folge eines Gleitschneerutsches allerdings eine große, nasse Lockerschneelawine (Blogeintrag vom 09.03.2012)
Schnee gleitet auf glattem Untergrund (meist Wiesen, hier ein Hausdach) auf einer feuchten Schneeschicht ab. (Osttiroler Tauern am 12.03.2014)
Fotos von Schneebrettlawinen der vergangenen Tage:
Spontane Schneebrettlawine im extrem steilen südostexponierten Gelände am 13.03.2014 unterhalb der Freihut (Nördliche Stubaier Alpen) (Foto: 13.03.2014)
Spontane Schneebrettlawine am 14.03. im Arlberggebiet (Foto: 14.03.2014)
Umfangreiche Lawinensprengungen zur Sicherung des Skigebietes, wie hier am Arlberg. Diese Handsprengung führte zum Abgang eines Schneebrettes an dem bereits durchnässten Hang (Foto: 14.03.2014)
Teilweise sehr gute Sprengerfolge, Valluga, Arlberg (Foto: 14.03.2014)
Die meisten Schneebrettlawinen lösten sich auf einer vormals aufbauend umgewandelten, inzwischen durchnässten und somit wiederum störanfälligen Schneeschicht. Hier am Bild der noch tragfähige Harschdeckel, darunter die nasse Schicht. Das Profil wurde im Bereich eines Risses in der Schneedecke am obersten Rand einer Moräne in den Stubaier Alpen aufgenommen. Die Lawine ging am Vortag offensichtlich gerade nicht ab (Foto: 15.03.2014)
Fotos von Lockerschneelawinen der vergangenen Tage:
Lockerschneelawinen aus extrem steilem, besonnten Gelände in der Schlick - Nördliche Stubaier Alpen (Foto: 12.03.2014)
Lockerschneelawinen reißen zunehmend Schnee in der Lawinenbahn mit. Je nässer die Schneedecke, desto größer die Lockerschneelawinen (Foto: 13.03.2014)
Was gibt es außer Lawinen zu berichten:
Wer rechtzeitig unterwegs war, konnte zumindest im besonnten Steilgelände recht häufig tollen Firn genießen.
Eine hart gefrorene Schneedecke versprach bei rechtzeitiger Abfahrt guten Firn; Osttirol (Foto: 14.03.2014)
Firnerlebnis pur bei der Abfahrt vom Gamsbergkopf in der Silvretta. Aufgrund unserer Schneedeckenuntersuchungen entschieden wir uns damals bewusst, kurz vor Mittag nicht zu steil unterwegs zu sein. (Foto: 12.03.2014)
Erstaunlich lang fand und findet man auch noch traumhaften Pulverschnee im schattigen, windberuhigten Steilgelände (Nördliche Stubaier Alpen am 12.03.2014)
Inzwischen wurde der Pulver weniger. Schuld daran ist der starke NO-Wind ab dem 15.03.
Starker Wind führte zu Verfrachtungen und kleinräumigen, neuen Gefahrenbereichen im hochalpinen Nordsektor; Daunscharte, Nördliche Stubaier Alpen (Foto: 15.03.2014)
Typisch ist immer noch ein abrupter Wechsel von Pulver, Bruchharsch und harter Schneeoberfläche bzw. Firn, Silvretta (Foto: 12.03.2014)
„Langlaufvergnügen“ auf Schneebändern in den schneearmen Nordalpen (Foto: 16.03.2014)
Wie geht es weiter? Wir rechnen mit lawinenaktiven Tagen, zumal es während der Woche meist frühlingshaft warm und die Strahlung intensiv sein soll (kurze Störung nur am 19.03.).
Temperaturprognose für den 18.03.2014
Lawinen werden vermehrt ab den späten Vormittagsstunden im Sektor WNW über N bis ONO unterhalb etwa 2700m auszulösen sein, aber auch spontan abgehen. Es handelt sich sowohl um nasse Lockerschneelawinen im extrem steilen Gelände, aber auch um Schneebrett- und Gleitschneelawinen. Im südlichsten Osttirol (Osttiroler Dolomiten, Karnischer Kamm) sollten Schneebrettlawinen allerdings aufgrund des homogenen Schneedeckenaufbaus die absolute Ausnahme darstellen. Dort ist dafür umso mehr auf Gleitschneelawinen zu achten.
Ganz wichtig ist es derzeit also, rechtzeitig unterwegs zu sein: Je höher und früher, desto günstiger die Lawinensituation. Ebenso gilt unverändert, Bereiche unterhalb von Gleitschneerissen möglichst großräumig zu meiden, zumal solche Lawinen auch große Auslauflängen haben können.