Donnerstag, 20. Februar 2020

Kleinräumige, frische Triebschneepakete - vereinzelt: Altschneeproblem - in Summe jedoch meist recht günstige Verhältnisse

Kleinräumiges Triebschnee- und Altschneeproblem

In Tirol überwiegen derzeit meist recht günstige Verhältnisse. Die Lawinengefahr ist aktuell (für Freitag, 21.02.2020) mäßig sowie gering.

Unterwegs im Defereggental. Sonnseitig gab es z.T. bereits frühjahrsähnliche Verhältnisse mit Firn (Sulzschnee) bei der Abfahrt (Foto: 18.02.2020)

Lawinengefahrenkarte für Freitag, den 21.02.2020

Wir haben es mit zwei Lawinenproblemen zu tun: Einerseits mit einem Triebschnee-, andererseits mit einem Altschneeproblem. Dabei ist das Triebschneeproblem wesentlich einfacher einzuschätzen als das Altschneeproblem.

Triebschneeproblem

Beim Triebschneeproblem gilt es, den frisch vom Wind verfrachteten Neuschnee zu beachten. Am ehesten lässt sich dieser in größeren Höhen und dann vermehrt im schattigen Gelände von Wintersportlern stören. Der große Vorteil: Mit etwas Erfahrung in der Lawinenbeurteilung lassen sich diese Triebschneepakete leicht erkennen und somit auch umgehen.

Neuschnee wird vom Wind verfrachtet. Bei diffuser Strahlung verbindet sich der Triebschnee während dieser Jahreszeit meist recht rasch mit dem darunter lagernden lockeren Pulverschnee. Silvretta (Foto: 17.02.2020)

Die Störanfälligkeit des frischen Triebschnees nimmt mit der Seehöhe zu. Schneefahnen in der Venedigergruppe (Foto: 18.02.2020)

Ein Blick zurück: zum Teil wechselhaft, zum Teil sehr sonnig und überdurchschnittlich warm, häufig windig. 

Ähnliche Situation am Patscherkofel. Hier erkennt man zusätzlich die meist nur geringen Niederschläge. 

Die Kaltfronten brachten in Summe nur wenig Neuschnee

Altschneeproblem

Das Altschneeproblem ist komplexer uns muss differenzierter betrachtet werden. Jeweils handelt es sich um kantige, lockere Kristalle, die innerhalb der Altschneedecke lagern und eine mögliche Schwachschicht für Schneebrettlawinen bilden. Vorweg: Das Altschneeproblem ist nicht allzu verbreitet und beschränkt sich auf bisher wenig befahrenes, sehr steiles bis extrem steiles Tourengelände.

Wir haben es dabei einerseits mit dem in den vorigen Blogeinträgen bereits angesprochenen Prozess der aufbauenden Umwandlung aufgrund des Gefahrenmusters "kalt auf warm" zu tun. Dieser Prozess startete nach den Regenfällen vom 03.02./04.02. Die Schwachschicht ist nicht überall gleichermaßen ausgeprägt. Am häufigsten fanden wir bei unseren Schneedeckenuntersuchungen bedeutsame Schichten in einem schmalen Höhenband um 2300m im Nordsektor. Da in diesem Bereich derzeit meist nur wenig Schneeauflage vorhanden ist (und somit das für Schneebrettlawinen notwendige "Brett" fehlt), gibt es verhältnismäßig wenige Gefahrenbereiche.

Kantige Schicht zwischen zwei Regenkrusten. Die zwei Regenkrusten entstanden am 03.02. aufgrund einer kurzfristig schwankenden Schneefallgrenze. Danach bildeten sich zwischen den Krusten die kantigen Kristalle.

Bei diesem Profil im Unterland konnte in der betreffenden Schicht nur ein Teilbruch erzeugt werden. Speziell aus dem Unterland bekamen wir mehrmals Rückmeldungen über Setzungsgeräusche v.a. im flacheren Gelände ab dem Waldgrenzbereich aufwärts, die mit dieser Schicht zu tun hatten.

Weiters finden wir kantige Kristalle als Folge der langen Schönwetterperiode bis zum 28.01.2020. Dies v.a. im Sektor W über N bis O. Aufgrund des inzwischen deutlichen Wärmeeintrags in die Schneedecke in besonnten Hängen gehen wir inzwischen davon aus, dass diese Schichten nur mehr im Sektor WNW über N bis ONO in einem Höhenband zwischen etwa 2600m und 3000m zu stören sein sollten. Voraussetzung dafür sind schneearme Bereiche bzw. Übergänge von wenig zu viel Schnee sowie meist große Zusatzbelastung.

Dünne kantige Schicht zwischen zwei Schmelzkrusten auf 2875 in einem extrem steilen NW-Hang in der Silvretta. Die untere Schmelzkruste entstand bis zum 18.01., die darüber befindliche bis zum 28.01. Zwei Personen befanden sich im unmittelbaren Bereich dieses Profilstandortes, als sich eine Schneebrettlawine löste.

Lawinenabgang zu obigem Profil. Kreis zeigt den Profilstandort sowie den Standort der Personen zum Zeitpunkt des Lawinenabgangs. Haagspitze - Silvretta - Bieltal-seitig (Foto: 17.02.2020)

Anrissbereich der Lawine vom 17.02. Haagspitze samt Abstiegsspuren. Die Lawine löste sich, als sich eine Person im obersten Bereich des Anrisses befand. (Foto: 17.02.2020)

Abgesehen von diesem Lawinenabgang ist uns (trotz des sehr schönen Wetters während des vergangenen Wochenendes 15.02. und 16.02.) nur ein weiterer Lawinenabgang aufgrund des angeführten Altschneeproblems bekannt geworden. (Auch dies spricht für die nur mehr relativ wenigen Gefahrenstellen, wo man Lawinen im Altschnee auslösen kann.) Dies war im Variantenbereich des Skigebietes Sölden in einem sehr steilen O-Hang auf 2500m. Auch dieser Lawinenabgang blieb ohne Folgen.

Lawinenabgang vom 16.02. im Variantengebiet des Skigebietes Sölden (Foto: 17.02.2020)

Einfahrtsspur Lawinenabgang vom 16.02. im Variantengebiet des Skigebietes Sölden (Foto: 17.02.2020)

Recht typisch für die derzeitige Situation im besonnten Steilgelände: Oberflächennahe Abfolge von härten Krusten und weicheren Schichten, ebenso in unterschiedlicher Ausprägung im Mittelteil der Schneedecke. Die weicheren Schichten sind häufig von gefrorenen Schmelzkanälen durchzogen und überdies von (mehreren) harten Schichten überlagert. Somit geringe Wahrscheinlichkeit einer Störung.


Kurzer Wetterrückblick der vergangenen Woche

Ergänzend zu obigen Wetterstationsgrafiken hier eine textliche Zusammenfassung des Wettergeschens von unserem Praktikanten Marco Knoflach:

"Zu Beginn des letzten Wochenendes (15.02./16.02.) baute sich über dem Alpenraum ein Zwischenhoch auf, welches uns bereits Mitte Februar frühlingshafte Verhältnisse bescherte. Mit westlicher bis südwestlicher Höhenströmung wurden sehr trockene und vor allem sehr milde Luftmassen herbeigeführt, wodurch die Nullgradgrenze am Sonntag, 16.02., auf 3500m angestiegen ist. Zusätzlich zu den ohnehin schon sehr milden Luftmassen, ließ der in den klassischen Föhntälern kräftig auflebende Südwind die Temperaturen deutlich nach oben klettern. Die Höchsttemperaturen lagen im Zeitraum vom 15.02.-17.02 laut der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) um rund 10 Grad (!) über dem Mittel. In der Nacht auf Dienstag, 18.02.2020, zog relativ rasch eine Kaltfront durch und dahinter flossen trockene und kältere Luftmassen ein. Bereits am Mittwoch, 19.02.2020, überquerte uns die nächste Kaltfront, bevor heute Donnerstag, 20.02.2020, ein kurzes Zwischenhoch für eine Wetterberuhigung sorgte."

Aufzug einer der rasch durchgezogenen Kaltfronten dieser Woche. Blick vom Senderstal Richtung Nordwesten (Foto: 19.02.2020)


Wetter- und Lawinen-Vorschau

"Laut ZAMG streift uns in der kommenden Nacht auf Freitag, 21.02.2020, eine eher schwach ausgeprägte Kaltfront mit neuerlicher Abkühlung, lebhaften bis starkem Wind und schwachen Schauern. Am kommenden Wochenende bestimmt neuerlich ein Ausläufer des Azorenhochs unser Wettergeschehen, welcher wieder für frühlingshafte Verhältnisse sorgen wird."

Die Wetterprognose spricht für eine anhaltend recht günstige Lawinensituation. Vermehrt aufpassen wird man v.a. auf feuchte Gleitschnee- und Lockerschneelawinen müssen. Das diffuse Altschneeproblem mit vereinzelten Gefahrenstellen bleibt uns vorerst erhalten. Der betroffene Sektor (WNW über N bis ONO) wird voraussichtlich schmäler werden, das Problem sich somit eher in den Nordsektor verlagern. Dies hängt allerdings massiv vom aktuellen Wettergeschehen ab und wird tagesaktuell beurteilt werden. (Sollte nämlich sehr viel Wasser in bestehende lockere Schichten eindringen, kann dies die Störanfälligkeit wiederum erhöhen.)


Weitere Eindrücke der vergangenen Woche

Viele höher gelegene alpine Schutzhütten haben ihre Pforten geöffnet, wie beispielsweise die Jamtalhütte in der Silvretta (Foto: 18.02.2020)

Gleitschnee- und Lockerschneelawinen

Während der, für die Jahreszeit, viel zu warmen Tage konnten wieder etwas mehr Gleitschneelawinen bzw. -rutsche beobachtet werden. Saile (Foto: 18.02.2020)

Gleitbewegungen auch auf Hausdächern. St. Jakob im Defereggental (Foto: 20.02.2020)

Warme Temperaturen förderten nasse Lockerschneelawinen. Längental (Foto: 15.02.2020)

Ablagerung nasser bzw. feuchter Lockerschneelawinen. Silvretta (Foto: 17.02.2020)

Kunstwerke aus Schnee als Folge einer feuchten Schneeoberfläche (Foto: 17.02.2020)

Die Schneeoberfläche

Schneedünen nach Neuschneefällen samt etwas Wind (Foto: 18.02.2020)

Eine stark vom Wind geprägte Schneeoberfläche in der Venedigergruppe (Foto: 18.02.2020)

Bizarre Schneeformen als Folge von Regen, anschließendem Schneefall und Winderosion im Ötztal (Foto: 15.02.2020)
Während der vergangenen Schneefälle war (wieder einmal) etwas Graupel eingelagert. Jamtal (Foto: 18.02.2020)
Schneeprofile und Stabilitätsuntersuchungen als Basis unserer Gefahrenstufeneinschätzung. Senderstal (Foto: 19.02.2020)