Donnerstag, 25. März 2021

Stellenweise noch Altschneeproblem - meist jedoch schon recht günstige Verhältnisse - Lawinenunfallanalyse Giggler Spitze

Heute am 25.03. waren wir gemeinsam mit der Alpinpolizei im Tiroler Oberland unterwegs. Wir konnten dabei den Lawinenabgang auf der Giggler Spitze vom 24.03. näher analysieren, weiters hautnah bei einem Lawinenabgang am Hochwanner im Kühtai dabei sein sowie uns einen sehr guten Überblick über die Gesamtsituation aus der Luft verschaffen. 


Unterwegs mit der Alpinpolizei (Foto: 25.03.2021)

Kurz zusammengefasst:


Inzwischen wurden schon sehr viele Touren begangen und befahren, darunter vielfach auch extrem steiles Gelände. Angesichts dessen scheint es nicht mehr allzu viele Gefahrenstellen zu geben, an denen Lawinen ausgelöst werden können. Am meisten aufpassen sollte man dort, wo wir ein oberflächennahes Altschneeproblem haben. Die im gestrigen Blogeintrag (24.03.) angeführten Höhen- und Expositionsbereiche haben sich dabei heute aufgrund der beobachteten Lawinenabgänge recht gut bestätigt. Zusätzlich sollte generell in kammnahen, sehr steilen, schneearmen Bereichen aufgepasst werden, weil dort mitunter Schneebrettlawinen im Bereich von "Schwimmschneenestern" ausgelöst werden können.


Wetter der vergangenen Woche


Die vergangene Woche stand anfangs noch im Einfluss von polaren, kalten Luftmassen mit wechselhaftem Wetter. Immer wieder schneite es, zudem wehte zum Teil kräftiger Wind. Für die Jahreszeit war es deutlich zu kalt.


Die obere Grafik zeigt Abweichungen vom langjährigen Durchschnitt an der Station Patscherkofel. Man erkennt, die deutlich unterdurchschnittlichen Temperaturen der vergangenen 10 Tage. Es wurde sogar ein neues Minimum gemessen. Die untere Grafik dient der Erläuterung (c) ZAMG



Noch wechselhaftes Wetter am Sonntag, 21.03.2021 - Nördliche Stubaier Alpen (Foto: 21.03.2021)



Starker Wind verfrachtete viel Schnee und modellierte hier gefrorene Wassersäulen heraus. Diese stammten von der Wärmephase bis Anfang März - Lasörlinggruppe (Foto: 21.03.2021)



Anfang der Woche besserte sich das Wetter zusehends - Paznauntal (Foto: 23.03.2021)



Anfangs wechselhaft mit etwas Niederschlag und kalten Temperaturen, ab 23.03. besserte sich das Wetter. Die Temperatur steigt stetig




In Osttirol wehte zum Teil sehr kräftiger Wind



Schneedecke


Skifahrer und Freeriderinnen kamen die vergangene Woche auf ihre Rechnung: Abseits windbeeinflusster Bereiche dominierte meist toller Pulverschnee. 


Ein Pulvertraum in den Stubaier Alpen (Foto: 25.03.2021)


Inzwischen hat die Sonne schon ganze Arbeit geleistet. Pulver gibts nur mehr in reinen Schattenhängen. Meist dominiert Bruchharsch. Südseitig, sehr steil und in mittleren Lagen wird die Schneedecke zusehends nach klaren Nächten tragfähig. 

Interessant erscheint auch die an windbeeinflussten Stellen häufig ans Tageslicht tretende gelblich/orange Färbung der Schneedecke: Saharastaub von Anfang Februar...



Die gelbliche Schicht wurde durch die Ablagerung von Saharastaub so gefärbt. Silvretta (Foto: 23.03.2021)


Kurzfristig konnte auch ein für diese Jahreszeit ebenso interessantes, aber für die weitere Entwicklung wohl (zum Glück) irrelevantes Phänomen festgestellt werden: Als am 23.03. zumindest in den westlichen Landesteilen sehr trockene Luft eindrang, wurde die aus Wildschnee bestehende Schneeoberfläche durch intensiven kurzwelligen Strahlungseinfluss einige Zentimeter unterhalb der Schneeoberfläche feucht, darüber blieb diese trocken. Die Folge: Skier stollten massiv auf. Zudem bildete sich ab den späteren Nachmittagsstunden ein dünner Harschdeckel.


"Radiation recrystallisation" nennt man dieses Phänomen: Schneeoberfläche ist noch locker und trocken, darunter hat sich bis am späten Nachmittag ein dünner Harschdeckel gebildet (während des Tages war diese Schneeschicht feucht). Silvretta (Foto: 23.03.2021)



An diesem Profil erkennt man den Temperaturgang, der für "radiation recrystallisation" verantwortlich ist: Die Temperatur an der Schneeoberfläche ist negativ, einige cm darunter 0 Grad, dann wieder kälter. (Potential für die kurzfristige Ausbildung einer Schwachschicht aufgrund eines sehr großen Temperaturunterschiedes)



Lawinenunfall Giggler Spitze vom 24.03.2021 - eine kurze Analyse


Wie anfangs schon erwähnt machten wir uns heute gemeinsam mit der Alpinpolizei ein Bild von der Situation vor Ort. Die Schneebrettlawine hatte beachtliches Ausmaß: Diese war etwa 1600m lang und 100m breit und brach in einer Seehöhe von etwa 2480m in einem extrem steilen, nach Nordwesten ausgerichteten Hang.


Ein Ausschnitt der Unfalllawine unterhalb der Giggler Spitze in der Samnaungruppe vom 24.03.2021 (Foto: 25.03.2021)


Einfahrtsspuren der zwei verletzten Personen. Knapp oberhalb der querenden Spur führten wir unsere Stabilitätsuntersuchungen durch. Dort gab es Risse in der Schneedecke. Das Schneebrett löste sich erst dort, wo es steiler wurde. (Foto: 24.03.2021)



Links im Bild eine der Einfahrtsspuren. Im Vordergrund die querende Spur, darüber ein Riss. (Foto: 25.03.2021)


Auffallend und wohl unfallkausal war ein schneearmer, kammnaher Bereich. Dort fanden wir unterhalb von Triebschnee lockere, aufbauend umgewandelte Schichten. Bei Stabilitätstests konnte wir dort Brüche initiieren, die sich in Folge auch weiter fortpflanzten. Stellenweise beobachteten wir auch so genannte "Schwimmschneenester", also lokal viel Schwimmschnee unterhalb von kürzlichem Triebschnee. Dort war die Schneedecke besonders leicht zu stören. Von solch einer Stelle dürfte vermutlich auch die Bruchinitialisierung und Rissfortpflanzung in weitere, zum Teil sogar recht stabile Bereiche stattgefunden haben.


Schneeprofil samt Stabilitätstest oberhalb des Lawinenanrisses, im orographisch rechten Teil der Lawine. Der Schneeblock löste sich auf einer lockeren Schicht aus Schwimmschnee. Links der Schaufel erkennt man einen Riss innerhalb der Schneedecke, der als Folge des Lawinenabgangs entstanden ist. (Foto: 25.03.2021)


Hier das Profil zum obigen Foto. Der Pfeil zeigt auf die Schwachschicht.



Auf dem Schaufelblatt liegt lockerer Schnee, aus dem die Schwachschicht aufgebaut war (Foto: 25.03.2021)



Links die Einfahrtsspuren. (Foto: 25.03.2021)



Die höchste Anrissmächtigkeit betrug ca. 2m. Bruch bis in sehr stabile Bereiche hinein. (Foto: 25.03.2021)



Ein Blick von der Sturzbahn bis zur Ablagerung in den Waldschneisen (Foto: 25.03.2021)



Weitere, kürzlich beobachtete Lawinenabgänge


Vorab: Fast allen kürzlichen Lawinenabgängen ist gemein, dass diese in extrem steilem Gelände beobachtet wurden.

Unterhalb des Hochwanners im Kühtai wurde heute am 25.03. eine Person in der Abfahrt von einer Schneebrettlawine erfasst und mitgerissen. Die Person blieb bei dem Lawinenabgang unverletzt. Es handelte sich um einen extrem steilen, nach NO ausgerichteten Hang. Der Lawinenanriss befand sich auf 2350m. Die Lawine war ca. 300m lang und 50m breit. 


Lawinenabgang Hochwanner. Die Person fuhr von oben links in den, zum Teil felsdurchsetzten Hang ein. Am unteren Bildrand erkennt man den Notarzthubschrauber, der gerade die Situation abklärte. (Foto: 25.03.2021) 


Schneeprofil im orographisch linken Anrissbereich nahe der Einfahrtsspur: Unterhalb einer dünnen Schmelzkruste findet man eine kantige Schicht - die Schwachschicht. Darüber kürzlicher Triebschnee. 



Lawinenabgang Hoher Burgstall vom 23.03.2021, NO, 2500m. Wir vermuten einen sehr ähnlichen Schneedeckenaufbau wie bei dem Lawinenabgang am Hochwanner (Foto: 25.03.2021)



Lawinenabgang Grünbergspitze. Vermutlich spontan. Schwächung durch Sonneneinstrahlung. Ca 2700m, Süd (Foto: 24.03.2021)



Spontaner Lawinenabgang beim Kögele - Nördliche Stubaier Alpen. Der komplette Hang war Mitte Jänner 2021 schon einmal als Schneebrettlawine abgegangen. NO, 2200m (Foto: 25.03.2021)



Lawinenauslösung Thialkopf - Nord, Waldgrenzbereich - (eine ähnliche Situation u.a. auch vom Wattental in den Tuxer Alpen gemeldet) (Foto: 21.03.2021)



Die Pfeile zeigen auf kleine, zu Wochenbeginn abgegangene Schneebrettlawinen in den Tuxer Alpen. Als Schwachschicht könnte hier überwehter, lockerer Pulverschnee gedient haben. Wir sind uns aber nicht zu 100% sicher, da wir nicht vor Ort gegraben haben. (Foto: 24.03.2021)


Mit dem zunehmenden Strahlungseinfluss und dem Temperaturanstieg aktivierten sich während der vergangenen Tage vermehrt Lockerschneelawinen. Meist waren diese eher klein, östlich des Wipptals zum Teil auch etwas größer. Dort gabs am 23.03. vermehrten diffusen Strahlungseinfluss. Zum Teil beobachtete man auch Gleitschnee- und vereinzelt auch Schneebrettlawinen. Letzteres v.a. sonnseitig, kammnah und extrem steil.


Ablagerung einer Lockerschneelawine im hinteren Zillertal(Foto: 23.03.2021)



Kürzlich abgegangene Lockerschneelawinen (Foto: 25.03.2021)



Bald zieht (wieder) das Frühjahr ein


Morgen am 26.03. wird es wieder sonnig. Auf den Föhngipfeln soll lebhafter Südwest-Wind wehen. Am Samstag, 27.03. zieht rasch eine Kaltfront aus Nordwest übers Land. Die Schneefallgrenze soll sich zwischen etwa 1000m und 1500m bewegen. Meist werden um 5cm, im Nordstau um 10cm Schnee fallen. Nach Frontdurchzug klart es im Westen rascher auf als im Osten. 


Aufklaren nach Frontdurchzug am Samstag, 27.03.2021


In geschützten Schattenhängen in großen Höhen könnten sich dann kleine, ev. störanfällige Triebschneepakete bilden. (Hochalpin ev. aufgrund von gerade beobachtetem Nigg-Effekt ev. kammnah auf Oberflächenreif).


Ab Sonntag, 28.03. wird es zunehmend sonnig und von Tag zu Tag milder. Wichtig erscheint ab dann der fortschreitende Feuchtigkeitseintrag in die Schneedecke. Wir erwarten bis spätestens Wochenmitte einen ausgeprägten Tagesgang der Lawinengefahr.


Mit der zu erwartenden Durchfeuchtung werden auch wieder vermehrt Gleitschneelawinen zu beobachten sein (Foto: 20.03.2021)