Der Temperaturverlauf - alles andere als gewöhnlich
Wir befinden uns zwar aktuell gerade im April, der für seine Unbeständigkeit bekannt ist, dennoch blicken wir auf sehr ungewöhnliche Temperaturextreme zurück: Am besten lassen wir da einen der Experten der ZAMG-Wetterdienststelle, Alexander Radlherr, zu Wort kommen:
"Das Auf und Ab bei den Temperaturen ist heuer schon besonders extrem. Vor einer Woche wurden – nur Tage nach dem letzten beachtlichen Wintereinbruch - an vielen Stationen Tirols (auch solchen mit langen Zeitreihen) neue Höchstwerte für den März aufgestellt. Am 07.04.2021 wurden hingegen an einzelnen Stationen mit eher kurzen Reihen Rekordtiefstwerte für April erreicht. An den gleichen Tagen des April 2003 war es in der Höhe noch 1 bis 2 Grad kälter, wobei das an vielen, auch „alten“ Stationen absolute Rekordtiefstwerte für April sind.
Tmax vom 31.03.2021:
Innsbruck +25,5; misst seit 1877
Umhausen +21,5, misst seit 1936
Brunnenkogel +3,1, misst seit 2003
Tmin vom 07.04.2021:
Brunnenkogel -24,6 (alter Rekord -22,5 aus 2015)
Denke, die großen Gegensätze diesen Winter sind nicht nur subjektiv so extrem."
Abweichung der Tagesmittel-Lufttemperatur am 30.03.2021 (auf den Bergen zeigt diese Darstellung noch ausgeprägtere Maxima als am 31.03.) |
Abweichung der Tagesmittel-Lufttemperatur am 07.04.2021 |
Auswirkung auf die Lawinengefahr
Anfangs Nassschneeproblem...
Bis inklusive 02.04.2021 befanden wir uns in einem Nassschnee-Lawinen-Zyklus. Mitte vergangener Woche waren u.a. die angesprochenen extrem warmen Temperaturen samt dem Strahlungseinfluss dafür verantwortlich. Am 02.04. beschleunigte dann nächtlicher Regen samt einem feuchtwarmen Wettergeschehen die Durchfeuchtung der Schneedecke - insbesondere in Schattenhängen. Die Schneefallgrenze variierte dabei stark und lag meist zwischen 1800m und 2400m.
Regenverteilung in Tirol vom 01.04. auf den 02.04.2021. - dadurch meist fehlende nächtliche Ausstrahlung und raschere Durchfeuchtung der Schneedecke in Schattenhängen am 02.04.2021 |
Vereinzelt gabs sogar Blitz und Donner - wie hier in den Brandenberger Alpen (Foto: 02.04.2021) |
Erstmals wurde am 02.04. in diesem Winter die Schneedecke in Schattenhängen in einem Höhenbereich zwischen etwa 2000m und 2200m (lokal etwas höher) tiefgreifend durchfeuchtet und geschwächt. Es lösten sich dort vermehrt feuchte bzw. nasse Lockerschneelawinen. Nur vereinzelt konnten wir auch Schneebrettlawinen beobachten. Eine dieser Lockerschneelawinen verschüttete den Weg zur Sulztalalm im Ötztal, auf der sich gerade ein Rodler bergwärts bewegte. Die Person wurde von der Lawine verschüttet und konnte nach 5 Stunden von einem Lawinenhund lebend geborgen werden. Eine große Atemhöhle ermöglichte ihm das lange Überleben in der Lawine. Inzwischen konnte die Person das Spital wieder verlassen.
Übersichtsbild des Einzugsgebietes der nassen Lockerschneelawine im Sulztal (Foto: 02.04.2021) |
Der Pfeil zeigt auf die Verschüttungsstelle der Person (Foto: 02.04.2021) |
Weitere Fotos von Lockerschneelawinen vom 02.04.2021...
Lockerschneelawine vom 02.04. am Weg zur Vennspitze in den Nördlichen Zillertaler Alpen (Foto: 06.04.2021) |
Lockerschneelawinen vom 02.04. in den Nauderer Bergen (Foto: 08.04.2021) |
Ab 03.04. zunehmende Stabilisierung, dann örtlich begrenztes Triebschneeproblem, verstärkt durch die Ausbildung des Gefahrenmusters kalt auf warm (gm.4)...
Als am Karsamstag, 03.04. die Lufttemperatur stetig abnahm, war die Nassschnee-Problematik rasch kein Thema mehr. Die Schneedecke stabilisierte sich. Am Osterwochenende war in Sonnenhängen (bei gedämpften Temperaturen) oftmals sogar guter Firn angesagt. Erst mit der Kaltfront, die am Ostermontag abends mit Temperatursturz und starkem Wind v.a. in den nördlichen Regionen vermehrt Schnee brachte, bildete sich ein Triebschneeproblem aus.
Eine jener Bereiche, wo es seit Ostermontag am meisten geschneit hat - Ulmerhütte (Arlberggebiet). Man erkennt aber auch den Temperatursturz samt kräftigem Windeinfluss |
72h-Schneedifferenz für Tirol. Am meisten schneite es im Norden des Landes. |
Vermehrt betroffen davon sind primär natürlich die schneereichen Regionen im Norden des Landes. Dort wiederum sollte vermehrt noch in kammnahem, sehr steilen, besonnten Gelände aber auch generell in schattigem Gelände, insbesondere in einem Höhenbereich zwischen etwa 2000m und 2500m aufgepasst werden. Dies erklärt sich v.a. dadurch, dass sich durch den extremen Temperaturgegensatz an der Grenzfläche zu Alt- und Neuschnee (zuvor Durchnässung der Schneedecke, dann Neuschnee samt Temperatursturz) vermehrt filzig-kantige Kristalle ausgebildet haben (Gefahrenmuster 4: kalt auf warm). Diese bilden aktuell eine mögliche Schwachschicht für die kürzlich gebildeten Triebschneepakete.
Der Vorteil: Mit etwas Erfahrung lassen sich Triebschneepakete derzeit recht gut im Gelände erkennen und diesen entsprechend ausweichen. Weiter im Süden sind die Triebschneepakete meist nur gering mächtig. Zudem wird der wiederum zunehmende Strahlungseinfluss bei steigenden Temperaturen das Triebschneeproblem vielerorts rasch beseitigen.
Gut erkennbarer, in diesem Fall allerdings nur gering mächtiger Triebschnee. Nauderer Berge (Foto: 08.04.2021) |
In Oberflächennähe erkennt man eine dünne schwache Schicht aus filzigen und kantigen Kristallen, die sich während der vergangenen Tage gebildet hat. SO, 2650m, Nauderer Berge |
Ähnliches Bild wie oben: Oberflächennahe Schwachschicht. Hier irrelevant, da kein Brett darüber. Nord, 2350m, Nauderer Berge |
Hier eine Schwachschicht unterhalb einer dünnen, am 02.04. gebildeten Schmelzkruste. Nord, 2440m, Stubaier Alpen |
Kurzfristig Lockerschneelawinen...
Zusätzlich wird man insbesondere morgen am 09.04. vermehrt Lockerschneelawinen aus extrem steilem, besonnten Gelände beobachten können. Strahlungseinfluss und Temperaturanstieg werden zu einer oberflächigen Durchfeuchtung / Durchnässung samt Destabilisierung oberflächennaher Schichten führen.
Wie geht es weiter...
Bis zum Wochenende dominiert Hochdruckeinfluss mit milderem Wetter. Die Lawinengefahr wird tendenziell zurückgehen, der Tagesgang der Lawinengefahr allerdings wieder vermehrt zu beachten sein. In Summe werden durchaus recht günstige Verhältnisse überwiegen.
Ein noch kurzzeitiger Genuss: Pulverschnee auf einer harten Schneeoberfläche. (Foto: 08.04.2021) |