Mittwoch, 29. Dezember 2021

Warmfront führt zu markantem Anstieg der Lawinengefahr!

Große Lawinengefahr aufgrund von Neuschnee, Regen und Sturm


Der heute morgens am 29.12. aktualisierte Lawinenreport zeigt es deutlich: Die Lawinengefahr steigt im Tagesverlauf markant an und erreicht gebietsweise die Gefahrenstufe 4 - "groß"!
Der heute morgens am 29.12. aktualisierte Lawinenreport zeigt es deutlich: Die Lawinengefahr steigt ab den Abendstunden markant an und erreicht gebietsweise die Gefahrenstufe 4 - "groß"!


Eine Warmfront erreicht uns heute am 29.12. von Nordwesten. Diese bringt einerseits viel Niederschlag, andererseits stürmische Verhältnisse auf den Bergen. Die Lawinengefahr wird deshalb rasch ansteigen. Wir erwarten viele spontane Lawinenabgänge. Die Haupt-Lawinenaktivität wird während der Nachtstunden vom 29.12. auf den 30.12. erwartet, dann, wenn auch die Niederschläge am intensivsten ausfallen werden. Eine ausführlichere Analyse zu den Lawinenszenarien gibts am Ende des Blogs...


Kurzer Wochenrückblick

Weihnachtstauwetter bescherte uns vergangene Woche recht warme Tage. Niederschlag gabs vermehrt im Norden des Landes. Der Süden war wetterbegünstigt. Auch die Lawinengefahr nahm tendenziell weiter ab und war mäßig, unterhalb der Waldgrenze gering.


Immer wieder etwas Niederschlag v.a. im Norden des Landes. Niederschlag vom 29.12. auf den 30.12. fiel anfangs als Regen (Abnahme der Schneehöhe), nach Mitternacht mit leichtem Temperaturrückgang als Schnee. Einsetzender Niederschlag mit Eintreffen der Warmfront am 29.12. 15:00 Uhr. Wetterstation Jöchelspitze / Allgäuer Alpen / Außerfern
Immer wieder etwas Niederschlag v.a. im Norden des Landes. Niederschlag vom 28.12. auf den 29.12. fiel anfangs als Regen (Abnahme der Schneehöhe), nach Mitternacht mit leichtem Temperaturrückgang als Schnee. Einsetzender Niederschlag mit Eintreffen der Warmfront am 29.12. ab 15:00 Uhr. Wetterstation Jöchelspitze / Allgäuer Alpen / Außerfern


Niederschlagsverteilung vom 24.12. auf den 25.12. - ein ähnliches Bild gabs vom 26.12. auf den 27.12. sowie vom 28.12. auf den 29.12.2021
Niederschlagsverteilung vom 24.12. auf den 25.12. - ein ähnliches Bild gabs vom 26.12. auf den 27.12. sowie vom 28.12. auf den 29.12.2021


Plusgrade auf der Füssener Hütte (1550m) am 25.12.2021
Plusgrade auf der Füssener Hütte (1550m) am 25.12.2021



Die Schneedecke wurde deshalb in tiefen und mittleren Lagen im Norden des Landes häufig bereits bis zum Boden hin feucht. Füssener Jöchle. 1720m, NO, 32°. Profil vom 26.12.2021 (c) Niedermayer, et.al.
Die Schneedecke wurde aufgrund der warmen Witterung und des Niederschlags in Form von Regen in tiefen und mittleren Lagen im Norden des Landes häufig bereits bis zum Boden hin feucht. Füssener Jöchle. 1720m, NO, 32°. Profil vom 26.12.2021 (c) Niedermayer, et.al.


Der wetterbegünstigte Süden. Blick von der Dolomitenhütte in Richtung Lienzer Dolomiten (c) foto-webcam.eu
Der wetterbegünstigte Süden. Blick von der Dolomitenhütte in Richtung Lienzer Dolomiten (c) foto-webcam.eu


Die Warmfront und deren vermutete Auswirkungen auf die Lawinengefahr


Regen in tiefen und mittleren Lagen / Rascher Anstieg der Schneefallgrenze bis etwa 2500m

Einsetzender Niederschlag heute am 29.12.2021 nachmittags im Westen des Landes kündigt eine von Nordwesten über das Land ziehende Warmfront an. Die ZAMG-Wetterdienststelle prognostiziert Niederschlagsmengen zwischen etwa 25mm und 50mm, lokal auch mehr. Betroffen davon ist ganz Nordtirol sowie das nördliche Osttirol. Am meisten Niederschlag soll im Westen sowie Norden Nordtirols fallen.

Fakt ist, dass der Niederschlag in tiefen und mittleren Höhenlagen bereits von Beginn an als Regen fallen wird. In hohen Lagen wird es anfangs noch Schnee sein. Der Schneefall soll allerdings bis etwa 2500m hinauf rasch in Regen übergehen! Die Hauptintensität des Niederschlags wird während der Nachtstunden des 29.12. erwartet.


24h-Neuschneeprognose vom 29.12. auf den 30.12.2021. Da es sich um eine NEUSCHNEE-Prognose handelt, wird hier aufgrund der steigenden Regengrenze NICHT der Gesamtniederschlag angegeben!
24h-Neuschneeprognose vom 29.12. auf den 30.12.2021. Da es sich um eine NEUSCHNEE-Prognose handelt, wird hier aufgrund der steigenden Regengrenze NICHT der Gesamtniederschlag angegeben!


Auf den Bergen stürmisch

Bereits gestern am 28.12. legte der Wind in der Höhe zu. Nun wird man sich zunehmend auf stürmische Verhältnisse auf den Bergen einstellen müssen. Der Wind bläst v.a. aus Nordwesten.


Zunehmend starker bis stürmischer Wind aus West bis Nordwest. Windeinfluss wird in der Höhe neue, z.T. sehr umfangreiche Triebschneeansammlungen bilden.
Zunehmend starker bis stürmischer Wind aus West bis Nordwest. Windeinfluss wird in der Höhe neue, z.T. sehr umfangreiche Triebschneeansammlungen bilden.


Windprognose für 29.12.2021 Mitternacht
Windprognose für 29.12.2021 Mitternacht


Spontane Lawinenaktivität!

Wir gehen aufgrund der Wetterprognosen von einer erhöhten spontanen Lawinenaktivität aus.  Dabei überlagern sich verschiedene Lawinenprobleme und mögliche Lawinenszenarien.

In den vom Regen beeinflussten Gebieten haben wir es mit einem Nassschneeproblem zu tun. Wir erwarten dort folgende Lawinenarten: 
  • Nasse Lockerschneelawinen aus extrem steilem Gelände in allen Hangrichtungen
  • Gleitschneerutsche und -lawinen auf steilen Wiesenhängen in allen Hangrichtungen
  • Feuchte / nasse Schneebrettlawinen v.a. im Sektor West, Nord und Ost

Aufgrund der nicht allzu mächtigen Schneedecke werden Lockerschnee- und Gleitschneelawinen meist mittelgroß sein.


Bereits um den 13.12. sind in Tirol sehr viele Gleitschneerutsche und -lawinen abgegangen. Erhöhte Abgangsbereitschaft in vom Regen beeinflussten Gebieten u.a. dort, wo sich bereits Gleitschneemäuler aufgetan haben. Tuxer Alpen (Foto: 28.12.2021)
Bereits um den 13.12. sind in Tirol sehr viele Gleitschneerutsche und -lawinen abgegangen. Erhöhte Abgangsbereitschaft in vom Regen beeinflussten Gebieten u.a. dort, wo sich bereits Gleitschneemäuler aufgetan haben. Tuxer Alpen (Foto: 28.12.2021)


Feuchte Schneebrettlawinen hingegen können aufgrund der flächigeren Bruchausbreitung z.T. aber auch groß werden. Bei den feuchten Schneebrettlawinen gibts wiederum zwei Szenarien, die abhängig von der Dauer der Schneefälle sind, die dann in Regen übergehen werden. Dort wo es anfangs etwas mehr schneit, werden Schneebrettlawinen primär im Bereich der aktuellen Altschneeoberfläche brechen. Bevorzugt wird dies unterhalb dünner Krusten auf einer Schwachschicht aus kantigen Kristallen der Fall sein. Dort wo es gar nicht oder nur kurz schneit, wird der Regen aufgrund der eher "wärmeren" Schneedecke (natürlich in Abhängigkeit der Höhenlage und Exposition) recht rasch in die Schneedecke eindringen. Dort finden wir meist im mittleren Teil der Schneedecke eine während des Frühwinters entstandene Schwachschicht.  Diese konnte letzthin zwar kaum mehr gestört werden. Eindringendes Wasser wird die Verbindung zwischen den Kristallen allerdings wieder auflösen und diese Schwachschicht reaktivieren. Es handelt sich dabei um ein Nassschneeproblem wie wir es u.a. auch vom frühen Frühjahr her kennen! Vereinzelt ist die Aktivierung der Schwachschicht einzig auch durch die Zusatzbelastung des Regens vorstellbar.




Der türkisene Pfeil symbolisiert das in die Schneedecke eindringende Regenwasser. der Pfeil in magenta zeigt die Schwachschicht, die durch Regen geschwächt wird. Schneeprofil auf 2050m, NW, 30° Elfer Bergstation, Nördliche Stubaier Alpen (c) Larcher et. at.
Der türkisene Pfeil symbolisiert das in die Schneedecke eindringende Regenwasser. der Pfeil in magenta zeigt die Schwachschicht, die durch Regen geschwächt wird. Schneeprofil auf 2050m, NW, 30° Elfer Bergstation, Nördliche Stubaier Alpen (c) Larcher et. at.


Das Bild zeigt einerseits den simulierten Schneehöhenverlauf der Wetterstation Nachtweide in der Silvretta Skiregion. Andererseits wird in den Blautönen in die Schneedecke eindringendes Wasser anhand eines berechneten Indizes dargestellt. Der graue vertikale Strich zeigt den Zeitpunkt 29.12. 14:00 Uhr an. Unter Einbeziehung von Wettermodellen wird in die Zukunft geschaut. In den Nachtstunden vom 29.12. auf den 30.12. soll die Schneedecke am Stationsstandort auf 2030m bis zum Boden durchnässt werden.
Das Bild zeigt einerseits den simulierten Schneehöhenverlauf der Wetterstation Nachtweide in der Silvretta Skiregion während dieses Winters. Andererseits wird in den Blautönen in die Schneedecke eindringendes Wasser anhand eines berechneten Indizes dargestellt. Der graue vertikale Strich zeigt den Zeitpunkt 29.12. 14:00 Uhr an. Unter Einbeziehung von Wettermodellen wird in die Zukunft geschaut. In den Nachtstunden vom 29.12. auf den 30.12. soll die Schneedecke am Stationsstandort auf 2030m bis zum Boden durchnässt werden.


Spontane Schneebrettlawinen in den nicht vom Regen beeinflussten Gebieten


Als weiteres Szenario gibt es jenes mit spontanen Schneebrettlawinen in den Bereichen, wo es durchgehend schneien bzw. großteils schneien wird. Als Schwachschicht für Schneebrettlawinen kommt primär die bis heute am 29.12. vorhanden Altschneeoberfläche in Frage. Wie schon erwähnt handelt es sich dabei um eine kantige Schwachschicht, die oftmals unter dünnen Schmelzkrusten bzw. Windkrusten lagert.


Eine dünne Eislamelle an der Schneeoberfläche, darunter lockere, kantige Kristalle - die für die kommende Schneeauflage primäre Schwachschicht. Tuxer Alpen (Foto: 28.12.2021)
Eine dünne Eislamelle an der Schneeoberfläche, darunter lockere, kantige Kristalle - die für die kommende Schneeauflage primäre Schwachschicht. Tuxer Alpen (Foto: 28.12.2021)



Schneefall, Erwärmung und Windeinfluss werden in größeren Höhen ein "perfektes" Brett über einer zum Teil recht flächigen Schwachschicht ausbilden. Erste Verfrachtungen in den Tuxer Alpen am 28.12.2021
Schneefall, Erwärmung und Windeinfluss werden in größeren Höhen ein "perfektes" Brett über einer zum Teil recht flächigen Schwachschicht ausbilden. Erste Verfrachtungen in den Tuxer Alpen am 28.12.2021


Nach den Niederschlägen wird man vermehrt Schneebrettlawinen beobachten können. Brüche sind sowohl in oberflächennahen als auch tieferen Schwachschichten vorstellbar. Schneebrettabgang Zillertaler Alpen (Foto: 24.12.2021)
Nach den Niederschlägen wird man vermehrt Schneebrettlawinen beobachten können. Brüche sind sowohl in oberflächennahen als auch tieferen Schwachschichten vorstellbar. Schneebrettabgang Zillertaler Alpen (Foto: 24.12.2021)


Ein weiteres Szenario gibt es noch in hochalpinen Regionen, also dort wo man vergletschertes Gelände vorfindet. Durch die Zusatzbelastung des Neu- und Triebschnees, aber auch durch primäre oberflächennahe spontane Lawinenabgänge können mitunter auch bodennahe Schwachschichten gestört werden. Es sind dann vereinzelt auch sehr große Lawinenabgänge vorstellbar. In der Regel handelt es sich da um Bereiche, die fernab jeglicher Infrastruktureinrichtungen sind.

 
"Schneemuren"

Vorstellbar bei den aktuellen Wetterprognosen sind auch "Schneemuren" in den besonders niederschlagsreichen, vom Regen beeinflussten Gebieten. Mit Wasser gesättigter Boden kann mitunter in Bewegung geraten und in Folge auch etwas Schnee mitnehmen. Einen solchen Vorfall hatten wir z.B. am 17.11.2019 im Stubaital.


Weitere Entwicklung

Die spontane Nassschneeaktivität sollte morgen am 30.12. mit Abklingen der Niederschläge deutlich abnehmen. Vereinzelte spontane, trockene Lawinenabgänge sind dann v.a. noch in sehr steilen Hängen in größeren Höhe vorstellbar, dort wo durch Windeinfluss weiterhin große Schneemengen abgelagert werden.

Was vorerst bleibt ist ein in der Höhe durch den Einfluss der Warmfront meist sehr gut ausgebildetes "Brett" in Form von Neu- und Triebschnee. Erfahrungsgemäß gibt es dann immer besonders gute Sprengerfolge. Auch wird man zum Teil noch mit großen Schneebrettlawinen rechnen müssen, die von Wintersportlern ausgelöst werden können, dies v.a. in größeren Höhen.

Mit den sehr warmen Temperaturen über Neujahr (Nullgradgrenze über 3000m) wird die in der Höhe vorerst noch große Lawinengefahr sukzessive abnehmen.

Wir bemühen uns, möglichst noch vor Neujahr eine Aktualisierung des Blogs durchzuführen.