Donnerstag, 14. Februar 2019

Aktuelle Situation / Mehr Schnee = mehr Lawinen?

Dieser Blogeintrag ist in zwei Teile untergliedert:

  • Kurz und bündig eine Beschreibung der derzeitigen Situation.
  • Ein Exkurs zu "Mehr Schnee = mehr Lawinen?"

Aktuelle Situation

In weiten Teilen Tirols herrschen derzeit verbreitet recht günstige Verhältnisse. Die Lawinengefahr ist am Vormittag meist von der Seehöhe abhängig: Oberhalb etwa 2400m herrscht geringe, darunter aufgrund der Gleitschneeproblematik mäßige Lawinengefahr. Während des Tages steigt die Lawinengefahr dann mit der Sonneneinstrahlung und Erwärmung etwas an und wird allgemein mäßig.

Wir haben es derzeit im Wesentlichen mit zwei Gefahrenmomenten zu tun: Gleitschneeproblem auf steilen Wiesenhängen (auch auf Hausdächern!) sowie Lockerschneelawinen aus extrem steilen, besonnten Hängen ab den Nachmittagsstunden.


Typisches Bild der derzeitigen Situation: Magenta Pfeile: Lockerschneelawinen aus extrem steilem Gelände; rote Ellipsen: Gleitschneemäuler auf steilen Wiesenhängen. Nordkette. (Foto: 13.02.2019)

 Die Hauptgefahr bilden eindeutig Gleitschneelawinen, die aufgrund der großen Schneehöhen gefährlich groß werden können. Bei einer gewissenhaften Tourenplanung sollte man derzeit immer auch die (mitunter nicht einsehbaren) Einzugsgebiete dahingehend beurteilen, ob dort Gleitschneelawinen abgehen könnten und solche Bereiche möglichst meiden. Zu beachten ist aber auch die Gefahr eines Sturzes in offene Gleitschneemäuler, dies besonders in Variantengebieten in den schneereichen Regionen Tirols.

Gleitschneelawine in den Tuxer Alpen am 06.02.2019. Im Hintergrund Lockerschneelawinen.

Heute am 14.02.2019 um 15:55 Uhr wurden wir von der Leitstelle Tirol über einen Lawinenunfall beim Bodenbachfall im Kaunertal informiert. Eine Person wurde dabei laut unserem Informationsstand schwer verletzt. Wir kennen die näheren Hintergründe noch nicht. Fest steht, dass auch verhältnismäßig kleine (Lockerschnee-?)Lawinen in dem engen Bachbett gefährlich für Eiskletterer sein können.

Lawinenunfall beim Bodenbachfall im Kaunertal. Rechts im Bild die Legende zur Hangneigung 
Nur mehr ein Randthema sind derzeit frische Triebschneepakete im hochalpinen, schattigen, kammnahen und sehr steilen Gelände, die ganz vereinzelt noch gestört werden können.

Die Verhältnisse erinnern an das Frühjahr: Während sternenklarer Nächte kühlt die Schneedecke aus. An besonnten Hängen bildet sich dadurch während der Nachtstunden ein Harschdeckel. Dieser ist derzeit meist noch brüchig. In wenigen Tagen allerdings kann man aufgrund der aktuellen Wetterprognosen der ZAMG-Wetterdienststelle davon ausgehen, dass sich zumindest in tiefen und mittleren Höhenlagen in sehr steilen bis extrem steilen Hängen ein tragfähiger Harschdeckel bilden wird. Im Tagesverlauf wird dieser Deckel wieder aufgeweicht. Wer rechtzeitig unterwegs ist, wird mit tollem Firn belohnt werden.

Im zentralen und südlichen Teil Osttirols (jenen Regionen, wo wir es noch mit einem Altschneeproblem zu tun haben) hat sich die Situation zwar gegenüber Anfang Februar deutlich gebessert, dennoch bleibt das Altschneeproblem ein Thema: Dort sollte man insbesondere im schattigen Gelände noch defensiver unterwegs sein. Im besonnten Gelände muss v.a. auf die erhöhte Störanfälligkeit der bodennahen Schwachschichten bei fortschreitender Durchnässung der Schneedecke geachtet werden.


Mehr Schnee = mehr Lawinen?

In weiten Teilen Tirols liegt derzeit bis in Tallagen außerordentlich viel Schnee. Doch wie beinflusst der viele Schnee den Winterverlauf im Hinblick auf die Schneedeckenstabilität und die Lawinengefahr?

Ein kurzer Exkurs: Lawinenarten

Wir unterscheiden nach dem Auslösemechanismus drei wesentliche Arten von Lawinen:
  • Schneebrettlawinen,
  • Lockerschneelawinen &
  • Gleitschneelawinen
Schneebrettlawinen stellen die typischen Skifahrerlawinen dar und sind für mehr als 90% aller Unfälle verantwortlich. Hier braucht es zum Abgang der Lawine 4 Zutaten: Einen mindestens 30° steilen Hang, ein gebundenes Schneebrett, eine darunter befindliche Schwachschicht mit entsprechender Tendenz zur Bruchfortpflanzung sowie einen Auslöser.

Anriss einer Schneebrettlawine: Steiles Gelände, Schneebrett auf einer Schwachschicht

Lockerschneelawinen
brauchen - wie der Name schon sagt - lockeren, ungebundenen Schnee. In der Regel handelt es sich dabei um trockenen Pulverschnee oder durchnässten Schnee. Ein sich hangabwärts bewegendes Schneekristall reißt im extrem steilen Gelände (>40°) auf seinem Weg nach unten weitere Schneekristalle mit sich. Die abgehende Lawine nimmt so ständig an Volumen zu. Typisch für die Lockerschneelawine ist die birnenförmige Lawinenbahn.

Nasse Lockerschneelawine aus felsigem Gelände

Gleitschneelawinen verhalten sich wiederum anders als Schneebrettlawinen oder Lockerschneelawinen. Hier handelt es sich um einen reinen Gleitprozess. Die gesamte Schneedecke rutscht aufgrund von Schmelzprozessen an der Grenze zwischen Schneedecke und gewachsenem Boden hangabwärts. Je feuchter der Untergrund, desto geringer die Reibung, desto wahrscheinlicher eine Gleitschneelawine. Wesentlich ist hierbei ein möglichst regelmäßiger, glatter Untergrund (z.B. Felsplatten, Wiesen, Hausdächer). Gleitschneelawinen können - im Gegensatz zu Lockerschnee- oder Schneebrettlawinen - auch auf Hängen unter 30° abgehen.

Zahlreiche Gleitschneelawinen in den Zillertaler Alpen (Foto: 22.01.2019)

Schneereiche Winter

Wie verhält es sich nun mit den Lawinen in besonders schneereichen Wintern?

Trockene Lockerschneelawinen treten aufgrund vermehrter und intensiverer Schneefälle häufiger auf als in schneearmen Wintern.

Schneebrettlawinen beobachtet man gehäuft während der intensiven Schneefallperioden. Danach stabilisiert sich die Schneedecke meist recht rasch. Vorteilhaft ist auch, dass durch die großen Schneemengen der Temperaturunterschied innerhalb der Schneedecke eher niedrig ist. Dadurch können nicht so leicht schwache, lockere Schichten entstehen, wie dies während schneeärmerer Winter der Fall ist. In Nordtirol baute sich die Schneedecke zu Winterbeginn stetig auf, sodass die gesamte Schneedecke meist recht stabil aufgebaut ist.
Im zentralen und südlichen Teil Osttirols hingegen dauerte es bis Ende Jänner, als die großen Schneefälle kamen. Bis dahin bildeten sich in der gering mächtigen Schneedecke bodennah ausgeprägte Schwachschichten, die Anfang Jänner sehr leicht gestört werden konnten. Dort bleibt vorerst ein latentes Altschneeproblem bestehen.

Schneereiche Winter sind "Gleitschneelawinen-Winter". Gleitschneelawinen kündigen sich häufig bereits einige Zeit vor dem tatsächlichen Lawinenabgang in Form von Gleitschneerissen, sogenannten "Gleitschnee- oder Fischmäulern" an.

Gleitschneerisse auf der Saile. Blick ins Inntal (Foto: 20.01.2019)

Diese Zugrisse entstehen bei stärkerem Schneegleiten an Orten, wo die Schneedecke unterhalb schneller gleitet als oberhalb. Ein Gleitschneeriss, der sich über Tage bis mehrere Wochen ausbreitet, kann plötzlich beschleunigen und als Gleitschneelawine abgehen. Das Aufteten eines Gleitschneerisses ist aber nicht zwingend notwendig. Gleitschneelawinen können also auch abrupt - ohne einen Riss - abgehen.

Eine mächtige Schneedecke begünstigt das vermehrte Auftreten von Gleitschneelawinen in zweierlei Hinsicht:
  • Die größere Schneeauflast bedingt eine größere hangabwärts gerichtete Kraft
  • Schnee isoliert gut. Dadurch hat Schnee in Bodennähe meist um 0°C, sprich dieser ist feucht - eine Voraussetzung für Gleitschneelawinen.
Die Gleitschneeproblematik wird uns noch den restlichen Winter über begleiten. Vermehrt werden diese bei zunehmender Durchfeuchtung der Schneedecke auftreten, können aber genauso am kältesten Tag des Jahres mitten in der Nacht abgehen. Ein weiterer Nachteil bei den Gleitschneelawinen - abgesehen von der schwierigen Einschätzbarkeit des Abgangszeitpunktes ist jener, dass diese nicht durch künstliche Zusatzbelastung (z.B. Sprengung) ausgelöst werden können.

Es gibt aber auch eine Spezies, die sich über Gleitschneelawinen freut:

Gämsen finden Äsung, wo Gleitschneelawinen abgegangen sind (Foto: 17.01.2019)

Dachlawinen: Während der vergangenen Tage beobachtete man in Tirol vermehrt Dachlawinen. Dabei handelt es sich vom Prinzip um Gleitschneelawinen: Wasser an der Grenzfläche zwischen Dach und Schnee vermindert die Reibung und erhöht die Gefahr einer Dachlawine.

Schnee gleitet auf glatten Dächern ab (Foto: 10.02.2019)

Hier erkennt man auf einem Blechdach eine Eisschicht, ein Indiz für freies Wasser, welches an der Grenzfläche zwischen Dach und Schneedecke vorhanden ist. (Foto: 10.02.2019)