Samstag, 9. Februar 2019

Lawinenprognose in drei Sprachen: der Satzkatalog


Lawinenwarnung in den Alpen

Die Alpen sind ein außergewöhnlich vielfältiges und einzigartiges Gebirge. In wohl keinem vergleichbaren Gebirgszug auf der Welt treffen auf kleinstem Raum so viele Länder und Kulturen aufeinander. Acht Länder mit fünf unterschiedlichen Sprachen teilen sich hier eine Fläche, welche nur rund zwei Drittel der Größe von Italien entspricht (Fläche der Alpen: 200.000 km²). Genau so vielfältig und unterschiedlich wie die Alpen präsentieren sich auch die verschiedenen Lawinenwarndienste in diesem Gebiet.  

Visualisierung der Warngebiete der verschiedenen Lawinenwarndienste im Europäischen Alpenraum auf der Homepage der Europäischen Lawinenwarndienste (www.avalanches.org).

Über den ganzen Alpenbogen gibt es derzeit rund 30 verschiedene Lawinenwarndienste, welche eine regionale Lawinenvorhersage für die Öffentlichkeit bereitstellen. Obwohl die Beurteilung der Lawinengefahr für alle Mitglieder der Europäischen Warndienste (EAWS) gleich definiert ist, gibt es zahlreiche Unterschiede: manche Warndienste veröffentlichen aktuelle Situationsbeschreibungen (Lagebericht), andere prognostizieren die Lawinengefahr für die Zukunft (Lawinenvorhersage);  manche Warndienste veröffentlichen ihr Warnprodukt jeden Tag, manche in größeren Zeitabständen. Auch die Ausgabezeitpunkte der Lawinenlageberichte bzw. –prognosen sind in den unterschiedlichen Ländern verschieden. Am meisten Kopfzerbrechen für manchen Leser bereiten jedoch die voneinander abweichenden Aufmachungen auf den Homepages der Warndienste: Denn obwohl der Inhalt gleich ist, sehen alle Produkte leicht unterschiedlich aus, scheinen verschiedenartig aufgebaut und sind oft nur in der Landessprache verfasst… 

Die Produkte der verschiedenen Warndienste sehen oft unterschiedlich aus und sind meist nur in der Landessprache verfasst. Links Vanoise (Frankreich), rechts Veneto (Italien).

Der Euregio Lawinenreport


Die intensive Zusammenarbeit der Lawinenwarndienste in der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino und die Erstellung einer gemeinsamen Lawinenvorhersage stellt weltweit ein Novum dar: Der Euregio-Lawinenreport schafft eine Brücke über Länder- und Sprachgrenzen hinweg und präsentiert sich in einem einheitlichen Look mit mehrsprachigem Charakter. Sowohl die Trentiner Skitourengängerin in Tirol, als auch der Tiroler Schneeschuhwanderer im Trentino findet sich auf einer bekannten Seite wieder und kann in seiner Landessprache die aktuellen Informationen zur Lawinengefahr zum gewohnten Zeitpunkt abrufen. Und damit auch der Britische oder Slowenische Skigast in Südtirol nicht zu kurz kommt, gibt’s das Ganze noch in Englischer Sprache. 


Der neue Lawinenreport in der Euregio Südtirol-Tirol-Trentino: Mehrsprachig und länderübergreifend.




Für statische Webseiten, deren Inhalt sich nicht oder nur wenig verändert, ist eine dreisprachige Darstellung mit vergleichbar wenig Aufwand verbunden: Texte werden einmal übersetzt und bleiben dann für unbestimmte Zeit dieselben. 
Kompliziert wird es jedoch für eine tägliche Lawinenvorhersage – unserem Hauptprodukt. Diese soll jeden Tag um 17 Uhr in allen drei Sprachen gleichzeitig veröffentlicht werden. Bei einer Veränderung der Situation erfolgt ein Update um 8 Uhr morgens, bei außergewöhnlichen Situationen ist ein Update auch jederzeit möglich. Die Texte der Gefahrenbeschreibung und der Schneedecke ändern sich täglich, zudem ist auch die Anzahl der Regionen und somit die zu übersetzende Anzahl an Texten variabel (siehe Blog).

Eine professionelle Übersetzung der Lawinenvorhersage in zwei weitere Sprachen wäre somit mit enormem Aufwand und nicht zuletzt finanziellen Kosten verbunden - wäre da nicht der Satzkatalog!

Der Satzkatalog

Der Satzkatalog ist ein vom WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos entwickeltes vollautomatisches Übersetzungssystem speziell für die Lawinenvorhersage.
Es basiert auf einem ausgefeilten Katalog von vordefinierten Sätzen, die aus verschiedensten Satzbauteilen zusammengestellt werden können und anschließend in die Sprachen Englisch, Italienisch und Französisch übersetzt werden. Bei der Erstellung der Lawinenvorhersage, werden die Beschreibung der Lawinengefahr und des Schneedeckenaufbaus also nicht frei geschrieben, sondern aus diesen vordefinierten Sätzen zusammengestellt, sodass sie sofort in allen Sprachen zur Verfügung stehen. Dabei kann als Ausgangssprache sowohl Deutsch (für die Lawinenwarner in Tirol und Südtirol), als auch Italienisch (Südtirol und Trentino) verwendet werden.

Durch die Variation von Satzbausteinen kann eine enorme inhaltliche Vielfalt erzielt und die jeweilige Situation exakt beschrieben werden.

Der Satzkatalog ermöglicht eine automatische Übersetzung der Beurteilung der Lawinengefahr sowie des Schneedeckenaufbaus in Deutsch, Italienisch, Englisch und Französisch.

Da germanische und romanische Sprachen grammatikalisch starke Unterschiede aufweisen, sind automatischen Übersetzungen hinsichtlich der sprachlichen Vielfalt Grenzen gesetzt. Daraus ergeben sich meist kürzere und einfachere Sätze, die vielleicht etwas ungewöhnlich oder repetitiv klingen. Wichtiger jedoch ist, dass alle Informationen klar und verständlich vorhanden und in allen Sprachen verfügbar sind. 

Mithilfe des Satzkatalogs und der damit verbunden automatischen Übersetzung ist der vom Lawinenwarner / von der Lawinenwarnerin verfasste Lawinenreport unmittelbar in allen Sprachen erhältlich.

Fazit

Der neue Lawinenreport in der Euregio Tirol-Südtirol-Trentino wird nicht wie bisher frei Hand geschrieben, sondern mithilfe eines ausgeklügelten Katalogs verschiedenster Sätze mit unzähligen Kombinationsmöglichkeiten erstellt, und auf Knopfdruck in Deutsch, Italienisch und Englisch übersetzt. 

Die Verwendung des Satzkatalogs bedeutet vor allem auf Seite der Lawinenwarner und Lawinenwarnerinnen eine große Umstellung. Texte können nicht mehr frei verfasst werden, sondern müssen über eine Auswahl an Satzteilen zusammengefügt werden. Aber der Vorteil den Lawinenreport jederzeit up-to-date in drei Sprachen zur Verfügung zu haben überwiegt.  

Ermöglicht wurde diese Neuerung insbesondere durch eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit unseren Kollegen in der Lawinenwarnung am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos. Vielen Dank dafür!