Sehr große Neuschneemengen, Sturm und variierende Schneefallgrenze
Die bisherigen Vorhersagen der ZAMG-Wetterdienststelle bestätigen sich: Im Süden des Landes wird es intensiv schneien. In Osttirol geht man derzeit in Tallagen verbreitet von 50cm (bei bedeutsamen Regenanteil), ansonsten typischerweise um 100 cm aus. Im Oberen Gailtal/Lesachtal sind laut Modellen 100-150 cm, auf den Bergen 150-200cm, in den Karnischen Alpen auch bis 250cm Neuschnee zu erwarten. In den Regionen entlang des Alpenhauptkammes sollen in Tallagen ca. 60cm Schnee, auf den Bergen 100-150cm (Bereich Timmelsjoch bis 200cm) fallen.
72h-Neuschneeprognose Donnerstag, 03.12. 07:00 bis Sonntag, 06.12. 07:00 Uhr |
Zudem wird es auf den Bergen stürmisch.
Windprognose für Freitag, 04.12.2020 22:00 Uhr. Der Wind weht aus südlicher Richtung |
Verschärfend dazu kommt noch, dass die Schneefallgrenze in kurzer Zeit stark variieren kann. Dies hängt mit der Luftschichtung zusammen, die über eine große Höhendifferenz nahe um die 0°C Temperatur hat.
Aktuelle Schneedecken-Analyse
Wichtig erscheint vor solchen Ereignissen immer eine möglichst exakte Analyse des Schneedeckenaufbaus sowie ein Rückblick auf das kürzliche Wettergeschehen:
Nach dem letzten markanten Schneefall mit der Kaltfront vom Donnerstag, 19.11.2020 auf Freitag, 20.11.2020 herrschte meist mildes, trockenes und sonniges Bergwetter. Letzten Sonntag, 29.11. drang dann kalte, feuchte Luft in tiefen Lagen ein. Dadurch bildete sich in weiten Teilen Tirols kurzfristig Hochnebel. Darüber blieb es wolkenlos. Zwischen Dienstag, 1.12. und heute Donnerstag, 03.12. schneite es in Tirol verbreitet 5-20cm mit Schwerpunkt in den südlichen Regionen. Dieser Neuschnee liegt schattseitig oberhalb der Waldgrenze meist auf einer bereits mehr oder weniger zusammenhängenden Schneedecke. In besonnten Hängen fiel dieser bis in größere Höhen (meist um 2500m) häufig auf aperen Boden.
Impressionen zur höhen- und expositionsabhgängigen Schneeverteilung
Blick von der Adlersruhe Richtung Süden. Das Bild stammt vom vergangenen Sonntag, 29.11. In den Tallagen erkennt man den oben beschriebenen Nebel. |
Bezeichnend: Südseitig aper, schattseitig Altschnee, Hochtennscharte (Foto: 30.11.2020)
Schneebedeckung schattseitig im Defereggental (Foto: 01.12.2020)
Hier ein Bild vom südlichen Osttirol. Oberhalb der Waldgrenze liegt eine zusammenhängende Schneedecke (Foto: 01.12.2020)
Neuschnee fällt zumindest schattseitig oberhalb der Waldgrenze auf eine meist ungünstig aufgebaute Altschneedecke
Unsere Schneedeckenuntersuchungen, aber auch unsere Modellanalysen zeigen eines ganz deutlich: Aufgrund des unbeständigen Oktobers und des schönen, trockenen Novembers bildeten sich innerhalb der Schneedecke viele Krusten, die sich häufig mit weicheren Schichten abwechseln. Dies trifft v.a. für schattiges Gelände oberhalb der Waldgrenze, hochalpin (also oberhalb etwa 3000m) zum Teil auch für besonntes Gelände zu. Schauen wir uns dazu einige Profile im Detail an:
Abfolge von Krusten und weicheren Schichten ("Krusten-Sandwich"), Gurgler Gruppe (Südliche Ötztaler Alpen), 2670m, NW, 30°, Aufnahmedatum: 27.11.2020 (c) LWD Tirol |
Kürzlicher Neuschnee, danach Abfolge von Krusten und aufbauend umgewandelten Kristallen, Pitztaler Gletscher (Weißkugelgruppe), 2840m, N, 32°, Aufnahmedatum: 03.02.2020 (c) Markus Kogler |
Ein Bruch konnte hier hochalpin, südseitig unterhalb einer dünnen Kruste initialisiert werden, Tiefenbachferner (Weißkugelgruppe), 3270m, S, 30°, Aufnahmedatum: 24.11.2020. (c) LWD Tirol |
Bild aus dem südlichen Osttirol vom 02.12.2020 auf 1500m. Aufbauend umgewandelte Schneedecke |
Auswirkungen auf die Lawinengefahr
Eines ist fix: Die Lawinengefahr wird mit der Intensivierung der Niederschläge samt Wind und langsam ansteigenden Temperaturen rasch und markant ansteigen! Der umfangreich gebildete Triebschee wird sich zumindest schattseitig oberhalb der Waldgrenze nur schlecht mit der lockeren Schneeoberfläche verbinden. Zudem nimmt die Belastung der Schneedecke im Laufe der Schneefälle stetig zu, sodass Brüche innerhalb der Altschneedecke immer wahrscheinlicher werden.
Gehen wir von den vorhergesagten Neuschneemengen aus, so wird die Größe der Lawinen im Laufe der Schneefälle auch stetig zunehmen. Wir rechnen ab Samstag mit größeren spontanen Schneebrettlawinen. Vermehrt betroffen ist eindeutig schattiges Gelände. In den besonders niederschlagsreichen Regionen sind auch Szenarien vorstellbar, dass sich während der Schneefälle (v.a. durch sich ändernden Windeinfluss bzw. durch die Einlagerung von Graupel) eventuell Schwachschichten bilden, die Schneebrettlawinen auch in anderen Expositionen möglich erscheinen lassen.
Dazu kommt noch die Gefährdung durch Gleitschneelawinen auf Wiesenhängen. Deren Abgangswahrscheinlichkeit wird durch eventuellen Regeneinfluss begünstigt.
Auch nicht zu unterschätzen: Die Gefahr umstürzender Bäume aufgrund der Schneeauflast.
Weiter im Norden, dort wo es weniger schneien wird, gilt zumindest für Wintersportler, dass Triebschneeansammlungen im schattigen Gelände oberhalb der Waldgrenze sehr leicht zu stören sein werden. Außerdem können auch dort Schneebretter von selbst abgehen. Diese werden allerdings eher nur mittelgroß werden.
Ruhe vor dem Sturm: Beginnender Föhneinfluss am Alpenhauptkamm. Südliche Ötztaler Alpen (Foto: 03.12.2020) |