Mittwoch, 23. Dezember 2020

Neuschnee samt Wind führen während der Weihnachtsfeiertage zu einem Anstieg der Lawinengefahr

Zunehmende Triebschneeproblematik in höheren Lagen


Seit Montag, den 21.12.2020 weht in höheren Lagen zum Teil recht kräftiger Wind aus westlicher Richtung. Dieser führt zu neuen Schneeverfrachtungen. Die dabei frisch gebildeten Triebschneepakete sind mitunter störanfällig, derzeit (am 23.12.) insbesondere oberhalb etwa 2400m. (Diese Höhengrenze wird mit Eintreffen einer Kaltfront vom 24.12. auf den 25.12. sukzessive tiefer zu liegen kommen.)


Schneefahnen auf ca. 2900m in den Ötztaler Alpen (Foto: 22.12.2020)


Die Hintergründe dafür: 


Einerseits konnte sich während einer milden Schönwetterphase zwischen Donnerstag, 17.12. und Samstag, 20.12. während klarer Nächte vermehrt Oberflächenreif bilden. Zudem wurde die Schneeoberfläche v.a. in höheren Lagen sowie in Schattenhängen lockerer. Beides stellt eine ideale Schwachschicht für darüber abgelagerten Triebschnee dar.


Oberflächenreif in den Tuxer Alpen (Foto. 18.12.2020)


Andererseits brachte eine von Montag, 21.12. auf Dienstag, 22.12. durchziehende Warmfront dann etwas Niederschlag in ganz Tirol. Der Schwerpunkt lag im Westen des Landes. Überall wo es regnete, wurde die locker aufgebaute Schneeoberfläche samt Oberflächenreif feucht, die mögliche Schwachschicht dadurch zerstört. Deshalb ist Triebschnee aktuell nur in höheren Lagen störbar, dort also, wo sowohl die locker aufgebaute Schneeoberfläche als auch der Oberflächenreif erhalten blieben.


Schneedeckensimulation Axamer Lizum: Die in magenta dargestellte Linie an der Oberfläche (vom 19.12. bis 22.12.) zeigt eine dünne Oberflächenreifschicht an, die am 22.12. durch Regeneinfluss zerstört wurde (Seehöhe: 2103m, Axamer Lizum)


Niederschlagsverteilung vom 21.12. auf den 22.12.: Im Westen am meisten, im Süden nur Spuren.


Regengrenzen der Warmfront vom 21.12. auf den 22.12.2020. Meist um 2400m, in Osttirol meist um 2000m


Die Störanfälligkeit der frischen Triebschneepakete zeigt sich derzeit einerseits durch Rissbildungen, andererseits aber auch durch kleine künstlich ausgelöste, vereinzelt auch spontane Schneebrettlawinen.


Rissbildung beim Betreten eines frischen Triebschneepakets auf 2900m. Die Schwachschicht bestand aus lockeren filzigen Kristallen samt Oberflächenreif. (Südliche Ötztaler Alpen, am 22.12.2020)



Lawinenauslösung Mittagsköpfe im Sellraintal. Man erkennt knapp unterhalb der Felsen einen gering mächtigen Anriss, darunter eine von der Lawine betroffene Personengruppe. Alle Personen blieben unverletzt. 2900m, SO (Foto: 22.12.2020)


Der Vorteil: Mit etwas Erfahrung in der Lawinenbeurteilung lassen sich die frischen Triebschneepakete aktuell noch recht gut erkennen, werden allerdings ab 25.12. zunehmend überschneit und dadurch immer schwieriger auszumachen.


Altschneeproblematik in den nordwestlichen Regionen Nordtirols


Während der vergangenen Woche hat die Anzahl der Gefahrenstellen, wo eine Lawinenauslösung im Altschnee möglich ist, auch in den schneeärmeren Regionen tendenziell abgenommen. Dennoch zeigen Stabilitätsuntersuchungen immer noch, dass bodennahe Schwachschichten durch die Zusatzbelastung von Wintersportlern brechen und in Folge Schneebrettlawinen abgehen können. Bekannt geworden sind uns während der vergangenen Woche zwei Lawinen mit Personenbeteiligung (jeweuils am 19.12.2020), die in aufbauend umgewandelten, bodennahen Schichten gebrochen sind; einmal am Schlantekopf in der Glockturmgruppe und einmal am Larsengrat im Muttekopfgebiet bei Imst. Jeweils passierte nichts.


Schneeprofil in den Tuxer Alpen im Bereich der Nafingalm. Man erkennt eine bodennahe, lockere Schicht - eine mögliche Schwachschicht für Schneebrettlawinen  (Foto: 19.12.2020)


Lawinenabgang Larsengrat; 2530m, NO. Beim Kreis erkennt man 3 Personen, die involviert waren. (Foto: 19.12.2020)


Altschneeproblematik wird durch Neuschnee samt Wind verstärkt

Mit dem angekündigten Niederschlag samt starkem Windeinfluss vom 24.12. auf den 25.12. (anfangs laut ZAMG-Wetterdienststelle noch bis etwa 2000m hinauf als Regen fallend, dann bis in Tallagen in Schnee übergehend) wird sich das Altschneeproblem in den bis dato schneeärmeren Regionen wieder verschärfen. Dies hat mit der großflächigen Bildung von Triebschneepaketen zu tun. Lawinen können dadurch größer werden, ebenso wird die Bruchfortpflanzung des Schneebretts begünstigt. Vermehrt betroffen ist weiterhin der Nordsektor, in größeren Höhen sind es dann vereinzelt auch Ost- und Westhänge.


72h-Neuschneeprognose, 23.12. 07:00 Uhr bis 26.12. 07:00 Uhr: Ganz im Westen wird am meisten Schnee fallen.


Ungünstig: Ein markanter Wechsel von weichen und harten Schichten: Region Westliche Lechtaler Alpen, Arlbergregion


Ausblick


Anstieg der Lawinengefahr

Die Lawinengefahr wird durch eine Kaltfront, die über Weihnachten Schnee und starken Wind bringt, ansteigen. Oberhalb der Waldgrenze wird die Gefahr erheblich werden.

Ab Anfang kommender Woche soll dann ein Mittelmeertief wieder viel Neuschnee im Süden des Landes bringen. Man geht derzeit von mindestens 50cm Neuschnee, lokal auch mehr aus. Vordergründig wird sich dadurch die Triebschneeproblematik verschärfen.


Der schneereiche Süden bekommt ab kommender Woche weiteren Schnee ab...


Mögliche Ausbildung des Gefahrenmusters 4 (kalt auf warm)


Interessant für uns Lawinenprognostiker ist derzeit auch ein zu erwartendes Gefahrenmuster 4 (kalt auf warm). Aktuell ist die Schneeoberfläche bis etwa 2400m hinauf (sh. obere Regenkarte) häufig angefeuchtet. Ab dem 25.12. wird sich darauf kalter Schnee ablagern. Die Temperaturen bleiben kalt. Aufgrund des ausgeprägten Temperaturgradienten an dieser Grenzfläche können sich in kurzer Zeit kantige, lockere Kristalle innerhalb der Schneedecke bilden, die als mögliche Schwachschicht für Schneebrettlawinen in Frage kommen könnten. Wir werden gemeinsam mit unseren Beobachtern diese Entwicklung genau im Auge behalten und sind natürlich auch an Rückmeldungen über entsprechende Beobachtungen an lawine@tirol.gv.at sehr dankbar!


Die durch Regen (und auch aufgrund der milden Temperaturen) angefeuchtete Schneeoberfläche bildet Knollen (ca. 2000m; N) in Obergurgl (Foto: 22.12.2020)


Die obstersten 5cm der Schneedecke sind feucht und weisen eine Temperatur von 0°C auf. (Profil auf 2040m bei Obergurgl am 22.12.2020)


Wochenrückblick


Meist günstige Lawinensituation


In den schneereichen Regionen dominierten in Summe günstige Verhältnisse. Steilwandfahrer kamen auf ihre Rechnung. 


Unterwegs in der Venedigergruppe im extrem steilen Gelände bei einer durchwegs stabilen Schneedecke (Foto: 19.12.2020)


Gleitschneeaktivität hat deutlich abgenommen


Die Gleitschneeaktivität hat inzwischen deutlich abgenommen, obwohl weiterhin ein gewisses Gefahrenpotenzial von Gleitschneelawinen ausgeht. 


Foto aus dem Schmirntal. Im Vordergrund erkennt man Skispuren im Pulverschnee, im Hintergrund fast apere Grashänge, wo bereits zahlreiche Gleitschneelawinen abgegangen sind (Foto: 18.12.2020)


Gleitschneeanriss in Sillian (Foto: 20.12.2020)


Viele SkitourengeherInnen im Gelände


Wir beobachten aktuell einen Boom beim Skitourengehen. Bis heute 23.12. waren viele der SkitourengeherInnen auch auf den häufig bereits präparierten Pisten unterwegs, während die Skigebiete noch geschlossen waren. 


Ein am 20.12.2020 voller Parkplatz in Praxmar im Sellraintal


Skitourengeher auf einer präparierten Piste im Kühtai (Foto: 17.12.2020)


Wetterrückblick


Milde Woche mit weiterem Temperaturanstieg aufgrund der Warmfront vom 21.12. auf den 22.12., die etwas Niederschlag brachte. Zunehmender Windeinfluss, wechselnde Windrichtung. Galzig, Arlberggebiet



Das Team des Lawinenwarndienstes Tirol wünscht FROHE und SICHERE WEIHNACHTSFEIERTAGE!