Kurz vorweg
Seit gestern, 01.03.2023 haben wir in Tirol die Lawinengefahr als gering eingestuft. Wir gehen nur mehr von wenigen Gefahrenstellen aus, wo Lawinen ausgelöst werden können. Am ehesten sind Schattenhänge in größeren Höhen davon betroffen. Dennoch, wir beobachten gerade die Entwicklung einer möglichen Schwachschicht aufgrund des Gefahrenmustern "kalt auf warm" (gm.4). Vereinzelt könnte diese während der kommenden Tage doch auch zu einem Problem werden. Wir sind ganz fest am Graben und Recherchieren, wo Problembereiche auftreten könnten. In diesem Blogbeitrag findet sich u.a. auch unser letztgültiger Wissensstand über gm.4.
Endlich Schnee - v.a. im Norden und Osten des Landes
Die vergangene Woche war geprägt von anfänglichen Schneefällen. Betroffen waren v.a. der Norden und der Osten des Landes, wo es meist zwischen 30-50cm schneite. Richtung Süden nahm die Neuschneemenge deutlich ab. Aufgrund der tiefen Temperatur war der Schnee recht locker. Wind führte zu entsprechenden Schneeverfrachtungen. Wir hatten es verbreitet mit einem Neuschneeproblem zu tun (Die Gefahrenstellen waren von außen oftmals nicht zu erkennen). In den niederschlagsärmeren Regionen überwog hingegen ein Triebschneeproblem (Triebschneepakete konnten im Gelände erkannt und diesen ausgewichen werden.). Während der vergangenen Tage dominierte dann im Norden schönes Wetter, während der Süden eher wolkenverhangen war. Etwas Schnee fiel im Süden vom 01.03. auf den 02.03.2023. Meist waren es dort zwischen 5-10cm.
72h-Neuschneesumme zwischen Freitag, den 24.02. Montag, den 27.02.2023 |
Etwas Schnee im Süden: 24h-Neuschneesumme zwischen 01.03. und 02.03.2023 |
Eine schöne Winterlandschaft nach den Schneefällen ab dem 24.02.2023. Dennoch: Bei der Abfahrt muss man immer noch auf möglichen Steinkontakt achten - Zentrale Lechtaler Alpen (Foto: 28.02.2023) |
Toller Pulverschnee in den Westlichen Kitzbüheler Alpen (Foto: 28.02.2023) |
Nach den Schneefällen beobachtete man vermehrt Lockerschneelawinen aus extrem steilem Gelände. Schneebrettlawinen waren meist klein und brachen innerhalb des Neuschnees (kalter, lockerer Schnee , der von frischem Triebschnee überlagert war). Zudem kam der Schnee auf steilen Wiesenhängen mancherorts zum Rutschen.
Lockerschneelawinen in den Westlichen Lechtaler Alpen (Foto: 01.03.2023) |
Kleine spontane Schneebrettlawine, vermutlich vom 26.02. in der Grieskogelgruppe (Foto: 02.03.2023) |
Gleitschneerutsche in den Östlichen Lechtaler Alpen (Foto: 28.02.2023) |
Gefahrenmuster "kalt auf warm" (gm.4)
Das Gefahrenmuster "kalt auf warm" kann immer dann auftreten, wenn eine anfänglich feuchte bzw. nasse Schneeoberfläche von kaltem Schnee überlagert wird. Durch den großen Temperaturunterschied auf kleinem Raum kann sich verzögert eine kantig aufgebaute Schwachschicht ausbilden. Aktuell sehen wir, dass mancherorts diese Entwicklung im Gange ist. Bedeutsam ist dieser Prozess aktuell nur in den kürzlich neuschneereichen Regionen im Norden und Osten des Landes. Dort ist zusätzlich zu einer möglicherweise ausgebildeten Schwachschicht auch ein entsprechendes Brett vorhanden. Heute am 02.03. langten bei uns zwei Meldungen über Setzungsgeräusche ein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf diesen Prozess zurückzuführen sind (Regionen Kalkkögel und Sellrainer Berge). Gm.4 kann auch auf einen Lawinenabgang in den Kalkkögeln, vermutlich vom 28.02. nachmittags oder 01.03. vormittags zutreffen.
Voraussetzungen für "kalt auf warm": Ellipse: Feuchte Schneeoberfläche. Danach Schneefall und fallende Temperaturen |
Aktuelle Abschätzung für eine Eingrenzung von "kalt auf warm"
Aktuell gibt es vergleichsweise zur Befahrung des Geländes nur sehr wenige Rückmeldungen über ein mögliches Problem mit "kalt auf warm". Wir stützen uns neben den bei uns eingelangten Rückmeldungen auch auf eigene Geländeerkundungen sowie die uns zur Verfügung stehenden Schneeprofile.
Die Ausbildung einer möglicherweise bösartigen Schwachschicht könnte unseres Erachtens aktuell am ehesten in folgenden Bereichen stattgefunden haben bzw. noch stattfinden:
- Nord zwischen etwa 2100m-2300m
- Ost / Nordost sowie West und Nordwest: 2100m-2500m
- Süd 2500m aufwärts
Wir bitten um eure Mithilfe
Wir haben schon sämtliche unserer Beobachter damit beauftragt, während der kommenden Tage auf diese Entwicklung innerhalb der Schneedecke zu achten und uns entsprechend zu informieren. Je umfassender diese Informationen sind, desto klarer unser Bild. Deshalb wenden wir uns an all jene von euch, die gerne mal einen Blick in die Schneedecke werden. Uns interessiert, ob sich im Bereich jener Schmelzkruste, die vergangene Woche entstanden ist, kantige Kristalle gebildet haben. Noch besser sind natürlich Ergebnisse von Stabilitätstests, wie z.B. vom relativ rasch durchzuführenden ECT. Wir freuen uns über entsprechende Rückmeldungen via mail an lawine@tirol.gv.at
Ein Blick in die Schneedecke hilft, die Entwicklung von gm.4 besser einzuschätzen - Venedigergruppe (Foto: 01.03.2023) |
Schneebrettlawine mit einer Einfahrtsspur eines Snowboarders (im oberer Anrissbereich zwischen den Felsen) auf 2300m Nord. (Foto: 01.03.2023) |
Vergleichsfoto zu obigem Foto: Am 28.02. nachmittags war an dieser Stelle nur eine querende Spur zu sehen. Die Lawine war noch nicht abgegangen. (Foto: 28.02.2023) |
Teilbrüche unterhalb der oberflächennahen Schmelzkruste. West, ca. 1750m |
Sonstiges
Es gibt noch weitere interessante Beobachtungen. Während der vergangenen Tage hatten wir recht gute Voraussetzungen für die Bildung von Oberflächenreif - einerseits aufgrund von Nebel (vermehrt im Süden), andererseits durch thermische Luftströmungen ("Nigg"-Effekt).
Wärmere Luft steigt auf. Wolken streifen über die Gipfel. Gute Voraussetzungen für den "Nigg"-Effekt. Venedigergruppe (Foto: 01.03.2023) |
Kammnaher Oberflächenreif ("Nigg"-Effekt) in der Samnaungruppe auf ca. 2500m (Foto: 02.03.2023) |
Weiterhin wenig Schnee
Die GeoSphere-Wetterdienststelle (vormals ZAMG) meldet in einer Aussendung, dass der heurige Winter sehr mild war. Im Tiefland handelte es sich um den sechstwärmsten Winter der Messgeschichte, auf den Bergen liegt er auf Platz 12. Der Westen Österreichs war zudem um 15-60% trockener als im Durchschnitt. Beides - das sehr milde Wetter und die geringen Niederschlagssummen - sind für die unterdurchschnittlichen Schneemengen verantwortlich.
Keine Seltenheit bei Skitouren im heurigen Winter: Zumindest während kurzer Passagen müssen die Skier getragen werden. (Foto: 02.03.2023) |
Untypisch für diese Jahreszeit: Schneelage in den Zentralen Stubaier Alpen (Foto: 24.02.2023) |
Wie geht es weiter?
Wir behalten primär gm.4 im Auge. Dies kann unter Umständen zu einem Anstieg der Lawinengefahr in den unlängst neuschneereicheren Regionen führen.