Mittwoch, 3. Januar 2018

Außergewöhnliches Sturmereignis bringt viel Neuschnee und Orkan. Verbreitet heikle Lawinensituation für den Wintersportler. Die Lawinengefahr steigt gebietsweise auf Stufe 4 (groß) an!

Im Westen Tirols und am Alpenhauptkamm erwarten die Prognosemodelle bis morgen am 04.01. abends über 1m Neuschnee in den Weststaulagen von der Silvretta über den Arlberg ins Außerfern. In den Stubaier, Ötztaler und Zillertaler Alpen sowie den Osttiroler Tauern können es um bzw. über 50cm Neuschnee werden. Der Niederschlag wird von orkanartigen Winden aus Nordwest begleitet.

Neuschneeprognose bis Freitag, dem 05.01.2018 in der Früh. Im Westen Tirols bis zu 1m Neuschnee. Man beachte die mit einberechnete Setzung in diese Karte…

… begleitet von orkanartigen Winden aus Nordwest. Maximale Windböen für heute am 03.01.2018 abends. (© ZAMG)

Damit steuern wir auf eine heikle Lawinensituation mit gebietsweise großer Lawinengefahr zu!


Wir erwarten eine erhöhte spontane Lawinenaktivität in den niederschlagsreichsten Regionen Tirols. Dies ergibt sich aus der Kombination aus Neuschnee, Wind, dem ständigen Auf und Ab der Temperaturen sowie dem aktuellen Schneedeckenaufbau. Eine erste erhöhte spontane Aktivität erwarten wir bereits heute am 03.01. mit Aufzug der Kaltfront, insbesondere dann, wenn es anfangs noch bis etwa 2000m hinauf regnen soll. Lawinen werden bevorzugt in oberflächennahen Schichten brechen. (Frischer Triebschnee auf lockerem, in hohen Lagen kalten Pulverschnee, zum Teil auch Graupel, welcher seit 01.01. gefallen ist. Die Schwachschicht besteht somit aus lockeren Neuschneekristallen.) Die Lawinengröße hält sich dabei noch in Grenzen. Lawinen sollten maximal mittelgroß werden.

Am Donnerstag, dem 04.01. erwarten wir dann mit Aufzug der nächsten Warmfront den Höhepunkt der Lawinenaktivität in den neuschneereichen Regionen. Durch die immer größer werdende Zusatzbelastung auf die Schneedecke werden Lawinen auch in Schwachschichten in der Altschneedecke anbrechen (diese bestehen dort aus aufbauend umgewandelten Kristallen). Unseren Schneedeckenuntersuchungen und Stabilitätstests zufolge rechnen wir mit vermehrten Brüchen in der Altschneedecke im besonnten Steilgelände beginnend von etwa 2300m aufwärts, vermehrt jedoch zwischen etwa 2800m und 3200m sowie im schattigen, den Winter über wenig verspurten und zudem eher windberuhigten Gelände zwischen etwa 2400m und 2800m.

In den niederschlagsärmeren Regionen wird die Lawinengefahr auch ansteigen. Durchaus sind dort morgen am Donnerstag, dem 04.01. auch spontane Lawinenabgänge denkbar. Diese fallen entsprechend kleiner als im Westen aus.

Mit der ansteigenden Schneefallgrenze werden außerdem nasse Lockerschneelawinen bis in einen Höhenbereich von knapp 2000m ein Thema sein.

Auch im niederschlagsarmen Zentralosttirol sowie südlichen Osttirol stellt sich allein durch den stürmischen Wind eine für den Wintersportler heikle Lawinensituation ein. Setzungsgeräusche, die vermehrt im schattigen Gelände ab etwa 1800m aufwärts beobachtet wurden, weisen auf eine störanfällige Schneedecke hin. Dies gilt in Osttirol vermehrt auch für besonntes Steilgelände zwischen etwa 2300m und 2800m.

Wir raten jedenfalls unerfahrenen Personen während der kommenden Tage auf den gesicherten Pisten zu bleiben!

Der Hauptniederschlag fällt zwischen Mittwoch, 03.12. mittags bis Donnerstag abends im Westen des Landes. (© ZAMG-Wetterdienststelle)

Die Ruhe vor dem Sturm: Analyse Schneedeckenaufbau zum 03.01.2018

Schneehöhe

In Tirol liegt für die Jahreszeit weiterhin überdurchschnittlich viel Schnee.

Auch in tiefen und mittleren Lagen findet man derzeit meist eine überdurchschnittliche Schneedecke. Beobachterstandort Obertilliach in der Region Südliches Osttirol

Viel Schnee in Tirol. Hier am Beispiel der Leckfeldalm im südlichen Osttirol (Foto: 02.01.2018)


Wir haben es mit allen Lawinenproblemen – in unterschiedlicher Ausprägung zu tun.

Neu- und Triebschneeproblem

Dieses ergibt sich durch den oben bereits ausführlich geschilderten Sachverhalt.

Es folgt noch viel Schnee nach…

Der Wind wird weiter zulegen…

Konvektiver Niederschlag kann dabei zu vermehrter Graupelbildung führen.

Graupel als mögliche, zusätzliche Schwachschicht für die kommenden Schneefälle. Mieminger Kette, Westliche Nordalpen (Foto: 31.12.2017)

Gleitschneeproblem

Typisch für eine mächtige Schneedecke ist unverändert die ausgeprägte Gleitschneelawinenaktivität.

Gleitschneemäuler am Trainsjoch, Östliche Nordalpen (Foto: 27.12.2017)

Altschneeproblem

Das Altschneeproblem ist nach wie vor in weiten Teilen Tirols präsent, wenngleich eher mäßig ausgeprägt (Ausnahme: Zentralosttirol und Südliches Osttirol. sh. unten)

Problembereich 1: Es handelt sich um ein Höhenband zwischen etwa 2300m und 2800m in besonnten Steilhängen. Diese Schwachschicht ist durch das Gefahrenmuster „kalt auf warm“ nach dem Wärmeeinbruch samt Föhnsturm am 11.12. sowie der darauf folgenden Abkühlung von Mitte Dezember entstanden. Die geringste Festigkeit weist diese Schwachschicht nach wie vor in Zentralosttirol sowie im Südlichen Osttirol auf Also dort, wo wir am wenigsten Neuschnee erwarten.

Lawinenauslösung am 24.12.2017 auf 1960m, Exposition Süd aufgrund eines „Kalt auf warm“ - Problems. Man erkennt die Einfahrts- und Ausfahrtsspur.

Das dazugehörige Schneeprofil am Anriss zum Schneebrett am obigen Foto zeigt eindrücklich die Schwachschicht (rosa Pfeil) die oberhalb der Schmelzkruste vom 11.12. (roter Pfeil) lagert und von einer Triebschneeauflage (blauer Pfeil) überdeckt ist. Diese diente als ideales Schneebrett.

Schneeprofil am Anriss zu obigem Foto. Blau = Triebschneeauflage. Rosa = Schwachschicht aus kantigen Kristallen. Rot = Schmelzkruste aufgrund des Föhnsturms am 11.12. Vollständiges Profil hier.

Bei obigem Beispiel befindet sich die kantige Schwachschicht oberhalb der Schmelzkruste. Zum Teil hat sich diese auch darunter ausgebildet.

Kantige, allerdings schwer zu störende Schwachschicht unterhalb einer Schmelzkruste im Bereich der Hohen Köpfe in der südlichen Arlberg-Region. 2450m, S, 35 Grad; (Profil vom 19.12.2017) Vollständiges Profil findet sich hier:

Problembereich 2: Ein weiteres „Kalt auf warm“-Problem beobachten wir im Bereich der bis 26.12. entstandenen Schmelzkruste. Eine warme Wetterphase mit kurzfristigen Firnverhältnissen wurde von einer Kaltfront abgelöst. Der Temperaturunterschied an der Grenzfläche der Schneeschichten reichte für aufbauende Umwandlungsprozesse. Es dürfte sich dabei derzeit um ein enges Höhenband zwischen etwa 2600m und 2900m in sehr steilen, besonnten Hängen handeln.

Auf das Weihnachtstauwetter folgte ein Temperatursturz von über 15°C samt Neuschnee in der Nacht vom  27.12. auf den 28.12.2017

Schneeprofil Krummgampental in den Südlichen Ötztaler Alpen vom 02.01.2018 auf 2840m S, 30 Grad. Unterhalb der bis 26.12. entstandenen Schmelzkruste findet man kantige Kristalle. (In flacherem Gelände in ähnlicher Höhenlage mit mächtigerer Schneeauflage über der Schmelzkruste konnte die Schwachschicht nicht gestört werden.) Vollständiges Profil findet sich hier:

Problembereich 3: Daneben existiert ein Altschneeproblem in windgeschützten, bisher wenig verspurten Schattenhängen v.a. zwischen etwa 2400m und 2800m, in Osttirol beginnend von etwa 1800m aufwärts. Dort konnte sich die ehemals aufbauend umgewandelte Schneeoberfläche aus der Kältephase bis Anfang Dezember halten. Inzwischen befindet sich diese innerhalb der Schneedecke und dient als potentielle Schwachschicht. Hochalpin wird die Schwachschicht häufig von harten, zum Teil mächtigen Triebschneepaketen überlagert ist, was die Störung erschwert.

Problembereich 4: Oberhalb etwa 2700m findet man noch ältere Schwachschichten vom Herbst, die allerdings nur durch große Schneeauflast (ev. durch den Impuls einer oberflächennah abgehenden Schneebrettlawine) angesprochen werden sollten.
Mehr Informationen zu diesen Schichten gibt es im Blogeintrag vom 15.12.2017

Am folgenden Profil kann man die vier Bereiche allesamt gut erkennen:

Schneeprofil vom 31.12.2017, Fotscher Windegg, Nördliche Stubaier Alpen, 2170m, NO. Vollständiges Profil hier

Rosa zeigt uns die Schmelzkruste des Weihnachtstauwetters. Rot die Schmelzkruste vom Föhnsturm am 11. Dezember. Unter dieser lagert in blau die ehemals aufbauend umgewandelte Schneeoberfläche durch die Kältephase Anfang Dezember. Darunter liegt die Kruste in grün von der Wärmephase vor dem 25.11.
Der gelbe Strich mit Bezeichnung „ECTP 12“ weist auf das Altschneeproblem aus dem Herbst hin. Hier konnte beim „Erweiterten Säulentest“ ein Bruch über den gesamten Block beim zwölften Schlag (mittlere Belastung) erzeugt werden. Die Schwachschichten im Bereich der Schmelzkrusten haben sich durch das Gefahrenmuster „kalt auf warm“ gebildet. Die Schneeschicht am Boden besteht aus kantig-abgerundeten Kristallen, also ehemals aufbauend umgewandelten Schichten, die inzwischen wieder durch überhand nehmende abbauende Umwandlung recht gut verbunden sind.

Altschneeproblem: Ausblick

In den neuschneereicheren Regionen werden die bisherigen Schwachschichten im Altschnee vorerst an Bedeutung verlieren. Eine große Schneeauflast bedeutet einen vermehrten Sinterprozess, welcher die Bindungen zwischen den kantigen Kristallen verstärkt. Durch die große Schneeauflast vermindert sich auch der Temperaturgradient, welcher aufbauende Umwandlungsprozesse in tieferen Schichten einbremst.

Ansonsten gilt es, Umwandlungsprozesse im Bereich von oberflächennahen Schmelz- bzw. Regenkrusten (u.a. Schmelzkruste aufgrund des Regeneinflusses der Warmfront vom 30.12. bis teilweise etwa 2300m hinauf) im Auge zu behalten. Dies trifft auch für die weitere Entwicklung der im schattigen Gelände in Osttirol vermehrt störanfälligen Schneedecke zu.

Eine Schmelzkruste im Außerfern, die im Mondlicht gut zu sehen ist (Foto: 01.01.2018)

Nassschneeproblem

Regeneinfluss wird kurzfristig zu meist feuchten Lockerschneerutschen führen und eventuell auch die Abgangsbereitschaft von Gleitschneelawinen erhöhen.


(Blog wurde unter Mithilfe unserer Praktikanten Lukas Ruetz und Stella Gschossmann erstellt.)